In die Katastrophe hineingeboren

Jasai 63-64

Dieser Predigttext will so gar nicht in unsere Weihnachtszeit passen. Es ist ein Klagelied, ein Klagepsalm.
Zur Zeit Als diese Worte im Buch des Propheten Jesaia aufgeschrieben wurden, befand sich das Königreich Juda oder das, was von ihm übrig geblieben war, am Boden. Die Babylonier hatten den Tempel zerstört und die jüdische Oberschicht nach Babylon deportiert.

„Kurze Zeit haben sie dein heiliges Volk vertrieben, unsre Widersacher haben dein Heiligtum zertreten.“ (…)“Deine heiligen Städte sind zur Wüste geworden, Zion ist zur Wüste geworden, Jerusalem liegt zerstört. 10 Das Haus unsrer Heiligkeit und Herrlichkeit, in dem dich unsre Väter gelobt haben, ist mit Feuer verbrannt, und alles, was wir Schönes hatten, ist zuschanden gemacht.“

Alles, was wir Schönes hatten, ist zuschanden gemacht, so fast der Prophet diese Ereignisse zusammen. Ich weiß nicht, ob sie das Gefühl kennen. Man hat so eine schöne Vorstellung vom Leben, noch so viele Pläne und dann kommt es doch ganz anders.

Aber es geht dabei ja nie nur um den Verlust von materiellen Dingen oder der Gesundheit. All das hat auch immer eine geistliche Komponente. Das Schöne im Leben, so wissen es die Philosophen seid den Tagen von Sokrates, ist ein Chiffre für Gott. Das Schöne und Gute, was wir sehen und erleben hilft uns an Gott zu glauben, hilft uns Gottes Nähe zu spüren. Erinnert uns daran dass es jenseits unser irdischen Welt noch ein absolutes Schönes, nämlich Gott gibt.

So war der nun zerstörte Tempel in Jerusalem ein Symbol für die Gegenwart Gottes, für besondere Auserwählung des Volkes Israel, für die Gottes Nähe.
Die Verlust des Tempels und die Deportation ins Feindesland bedeutet eine gefühlte Total Trennung von Gott: „Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde.“
Diese Situation wirft eine Menge von theologischen Fragen auf. Gott wird in Frage gestellt:
Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich.
Ist das noch der barmherzige Gott, der so an seinem geliebten Kindern handelt? Dabei entwickelt der Prophet eine Ursachenkette. Wenn Gott sein Erbarmen zurück zieht, dann müssen wir Menschen unweigerlich auf Abwege kommen.
Warum lässt du uns, Herr, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten?
Wenn Gott seine Hand zurückzieht, dann verlieren wir die Gottesfurcht: das hat zur Folge dass wir die Wege Gottes verlassen und selbst verschuldet in die Katastrophe steuern. Sie führt immer weiter von Gott weg, weil uns die Gewalt unser Schuld von ihm vortreibt und von ihm trennt:
„Aber nun sind wir alle wie die Unreinen, und alle unsre Gerechtigkeit ist wie ein beflecktes Kleid. Wir sind alle verwelkt wie die Blätter, und unsre Sünden tragen uns davon wie der Wind. Niemand ruft deinen Namen an oder macht sich auf, dass er sich an dich halte; denn du hast dein Angesicht vor uns verborgen und lässt uns vergehen unter der Gewalt unsrer Schuld.“

An diesem Punkt lohnt es sich innezuhalten und einen Blick auf die Politik zu werfen:
Das Königreich Juda hatte den eigenen Untergang erlebt. Daran war auch eine falsche Außenpolitik und eine Aushöhlung der sozialen Gerechtigkeit im Inneren schuld.
Wer nur immer lesen kann und historisch denken kann, dem muss klar sein, dass das, was gerade in der Welt passiert keine gute Vorzeichen sind und sich schnell zu einer Katastrophe entwickeln kann.
Innenpolitisch erleben wir einem Zerfall der Wertegemeinschaft. Davon ist leider auch nicht Deutschland und Europa ausgenommen. Außenpolitisch fehlt uns immer mehr der Mut, für diese Werte einzustehen. Dies hat zur Folge, dass wir das Handeln immer mehr skrupellosen Machtmenschen überlassen.
Trotzdem läuft bei uns alles so weiter wie bisher, wir lassen uns einlullen vom Konsum und den scheinbaren Notwendigkeiten.
Bei der Adventsfeier unseres Pfarrkonvents traf ich am Dienstag meinen Kollegen Ludwig aus Memmingerberg. Er war wie ich in Tansania lange Jahre in Papua-Neuguinea als Missionar tätig. Uns beiden beschleicht ein Grundgefühle, das sonst hier niemand so verstehen scheint. Wer unter einfachen Verhältnissen gelebt hat, dem muss das Leben hier in Deutschland mit all seinem Resourcenreichtum und Resourcenverschwendung irgendwie komisch vorkommen. In Tansania fährt man ein Auto bis es buchstäblich auseinanderfällt. Hier kommt es auf dem Schrottplatz. Geht es bei uns um die Frage, wie wir noch besser und komfortabler leben können, geht es dort um das Überleben. Mehrere kleinen Inselatolle werde wohl bald überflutet sein, weil die großen Industrie Nationen Ihre CO zwei Werte nicht in den Griff bekommen Oder gar den Zusammenhang Zwischen Treibhausgasen der globalen Erderwärmung leugnen.

Wenn ich heute ein Prophet wie Jesaia wäre, dann musste ich den Untergang der westlichen Zivilisation, wenn ich gar einer globalen Katastrophe prophezeien. Denn wo kein Umdenken geschieht, kein Fragen nach Gott, und was das Leben wirklich ausmacht, da ist eine Verschlechterung der Lebensverhältnisse absehbar.

Und doch ist Jesus gerade in diese Katastrophe „Mensch“ hineingeboren worden.

  • Eine äußerst gespannte Situationen zwischen Josef& Maria, weil Josef gar nicht wissen konnte, Ob Maria nicht untreu geworden war.
    -Eine äußerst angespannte Situation in einem von den Römern besetzten Land, indem ein ferner Kaiser in Rom die Leute herum kommandieren konnte, sich im Ort Ihre Geburt in Steuerlisten eintragen zu lassen.
    Eine beschwerliche Reise mit einer schwangeren Frau die nach einer vergeblichen Suche in der Herberge ihr Kind in in einem Stall zur Welt bringen musste.
    Der Tempel in Jerusalem hatte Herodes der Große zwar wieder aufgebaut, aber an der politischen Situation hatte sich im Vergleich zum Propheten Jesaia nicht viel geändert.
    Mit Sicherheit kannten Josef und Maria diesen Abschnitt aus der Schriftrolle des Propheten Jesaia, die zur Grundausstattung der meisten jüdischen Synagogen gehörte.
    Hatte Maria diesen Klagepsalm auf den Lippen, als ich hochschwanger nach nach Bethlehem gereist ist und in den Wehen lag:
    „So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich.“
    Wo ist nun der Engel, der Maria die Geburt des Heilandes ankündigte? Schafft Gottes es nicht einmal seinen Sohn ein ordentliches Bett zu Geburt zu organisieren? Muss es denn ausgerechnet eine Krippe sein? Sieht so der neue Tempel aus, in dem Gott wohnen will? Welch krasser Gegensatz zu dem von Herodes dem großen in Jerusalem gebaute, prachtvollen Tempel.

Der Prophet Jesaja hatte sich das ganz anders vorgestellt: ein machtvolles, erschütterndes Eingreifen Gottes in die Welt: : „Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen, wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, dass dein Name kund würde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müssten, 2 wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten“

Dieses einfache Kind in der Krippe soll die Lösung sein für all die Probleme damals und all die Probleme heute? Als sich der Himmel dann tatsächlich auftat und die Menge der himmlischen Heerscharen für einen Moment sichtbar wurde, war auch den einfachen Hirten klar, dass da etwas Großes geschehen war. Trotzdem blieb der Widerspruch bestehen: das einfache, hilflose Kind in der ärmlichen Krippe und unsere Warten, Hoffen und Sehnen auf eine bessere und gerechtere Welt.
„Mein Gott mein Gott warum hast du mich verlassen?“ Betet Jesus mit den Worten des Psalm 22, als er hilflos am Kreuz hing. Auch der Psalm 22 ist ein Klagepsalm und ist den Worten unseres Predigttextes ähnlich. „So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich.“
Warum muss Gott so ohnmächtig in diese Welt kommen? Warum muss der Knecht Gottes so viel leiden? Ist das die beste Lösung, die Erlösung?
Die Antwort finden wir wiederum im Buch des Propheten Jesaia: Kapitel 53:

4 Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. 5 Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. 6

Erst Jesus Tod am Kreuz hat dies unheilvolle Dynamik der Sünde durchbrochen, die uns immer weiter weg von Gott treibt: „Aber nun sind wir alle wie die Unreinen, und alle unsre Gerechtigkeit ist wie ein beflecktes Kleid. Wir sind alle verwelkt wie die Blätter, und unsre Sünden tragen uns davon wie der Wind. 6 Niemand ruft deinen Namen an oder macht sich auf, dass er sich an dich halte; denn du hast dein Angesicht vor uns verborgen und lässt uns vergehen unter der Gewalt unsrer Schuld.“
Wer die Macht der Sünde leugnet, ihrer zerstörerische Wirkung, der gibt ihr nur noch mehr Raum und Vorschub. Wer die Macht der Sünde leugnet, der hat von Weihnachten nichts verstanden und braucht eigentlich gar nicht mit zu feiern, den er versteht nicht und leugnet, warum Jesus das alles auf sich genommen hat.
Dabei geht es nur vordergründig darum, dass wir immer weniger wissen, was gut und böse ist und uns in immer größere Wiedersprüche verstricken. Nein es geht in der Tiefe darum, dass wir als einzelne Person oder als Gesellschaft ein von Gott getrenntes, ein gottlosen Leben führen. Und dies ist eine tiefe, teilweise unsichtbare Dynamik in uns die unser Leben prägt und gefangen hält.
Erst der Tod Jesu hat diese Dynamik durchbrochen, weil er für unsere Trennung von Gott für unser gottloses Leben starb. Jesus hat den Zugang zu Gott dem Vater für uns wieder geöffnet. Und so wird am Ende doch noch wahr, was der Prophet Jessie gehofft hatte:
Du, Herr, bist unser Vater;»Unser Erlöser«, das ist von alters her dein Name.

7 Aber nun, Herr, du bist doch unser Vater! Wir sind Ton, du bist unser Töpfer, und wir alle sind deiner Hände Werk. 8 Herr, zürne nicht so sehr und gedenke nicht ewig der Sünde! Sieh doch an, dass wir alle dein Volk sind!