Sünde

Kann man neurologische Erkenntnisse und biblische Theologie zusammen denken?
Der Artikel deckt Zusammenhänge zwischen dem biblischen Begriff Sünde und Erkenntnissen der Neurowssenschaften auf

Die folgenden Notizen sind Kommentare zu meinem Heft der Mensch und seine Erlösung.

Dieses Heft gehört zu meiner Reihe "Krisis des Denkens" in der ich eine Art Normaldogmatik entworfen habe
Die folgende Ausführungen sind eine erste Skizze die als Ergänzung zu dieser "Normaldogmatik" gedacht sind.
((vgl. Burkhardt 2007, Der Mensch und seine Erlösung S. 10 ff))

Die Schwierigkeit, heute von der Sünde zu reden

Theologisch ist es heute schwer überhaupt noch von Sünde zu sprechen.. Wir müssen deshalb hier ganz neu einsetzen und vom empirischen Befund ausgehen.
Was schwierig ist, ist gleich zu Beginn von der Sünde als der Trennung von Gott zu reden. Das wird heute auch nicht mehr verstanden und außerdem verharmlost es die Sünden. Denn diese sind höchst real und empirisch und neuronal nachweisbar.
Es gilt damit ernst zu machen, was Paulus bereits festgestellt hat.

Römer 1,14 Denn wenn Heiden, die das Gesetz nicht haben, doch von Natur aus tun, was das Gesetz fordert, so sind sie, obwohl sie das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. 15 Sie beweisen damit, dass des Gesetzes Werk in ihr Herz geschrieben ist; ihr Gewissen bezeugt es ihnen, dazu auch die Gedanken, die einander anklagen oder auch entschuldigen,

Denn von Schuld und Versagen ist heute überall die Rede, bloss waren es immer die Anderen.
So muss bei politischen Fehlleistungen ein Schuldiger gesucht werden, der dann als Sündenbock dient.
Und hier sind wir theologisch schlecht beraten, solche Prozesse dadurch zu verharmlosen, dass es eben nur bürgerliche Fehlleistungen sind und der Mensch ja vor Gott ein gerechtfertigter Sünder.

Mögliche Ansätze zur neurologischen Interpretation von Sünde

In meiner meiner neuronalen Theologie habe ich bereits mehrere Ansätze untersucht: Neuronal kann die Sünde als Entfremdung zu Gott verstanden werden. Ordnet man diese Entfremdung den drei Modulen, Begriff, Beziehung und Zustand, zu so ergibt sich folgendes Bild:

 Entfremdung als Sinnverlust

Wir verlieren den Glauben an Gott] den Schöpfer. Es kommt zu Rissen in unserem semantischen Netzwerk.((Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, §16.))

Entfremdung als Beziehungsverlust

Wir verlieren, die persönliche Beziehung zu Gott als Person.((Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, §19.))

Entfremdung als desintegrierter Zustand

Sinnenlust und der Brüche im Beziehungsnetzwerks führen schließlich zu desintegrieren Zuständen.1

Neruonale "Sünde"

Neuronale Ist-Soll-Strukturen

Auf neuronaler Ebene laufen ständig Prozesse ab, die mit Ist-Sollstrukturen verknnüpft sind. Unser Gehirn prüft ständig, ob sich etwas Außergewöhnlich ereignet, was von der Norm abweicht. Passiert das, wird blitz schnell entschieden, ob das Unerwartete eine Gefahr ist oder für unser Weiterleben Vorteile bedeutet.
Stellt das Unerwartet eine Gefahr dar, wird das Stressystem aktiviert, was entweder zur Vermeidung oder zum Angriff führt. Erhofft man sich Vorteile versuchen wir, über das Belohnungsssystem oder das Beziehungssystem die weitere Entwicklung zu unserem Vorteil zu optimieren.
Im Normalfall kommen wir mit diesen Systemen ganz gut aus. Das heißt, wir werden vor Schaden bewahrt und wir können die sich für uns bietenden Gelegenheiten sinnvoll nutzen, um unsere Fähigkeiten und unsere Beziehungen weiter zu entwickeln. Unsere neuronalen Systeme sind also lebensbejahend und lebensfördernd

Dysfunktionale Strukturen

Nun tauchen die meisten Proleme da auf, wo diese einfachen Strukturen nicht mehr funktionieren
Beispiele:

  • Ich gerate bei der Anblick einer Spinne in eine Stressphase, obwohl diese Spinne keine Lebensgefahr für mich bedeutet.
  • Normale Büroarbeit setzt mich unter Stress, obwohl ich offensichtlich nicht in einem feindlichen Urwald mit Säbelzahntigern bin, sondern in einem wohlklimatisieren, sicheren Büro.
  • Ich beziehe meine innere Motivation nicht mehr durch körperliche Bewegung, Musikhören, Meditation, Lektüre, schönen Erlebnissen (innere Belohnungen), sondern durch materiellen Konsum, Drogen oder ähnliches (äußere Belohnung). Äußere Belohnungen machen mich abhängig und unfrei, weil sie nicht beliebig reproduzierbar sind.
  • Ich schaffe es nicht mehr stabile und lebensfördernde Beziehungen aufzubauen, sondern lebe als Einsiedler, der dann aber am Ziel seines Lebens vorbeischießt.

Die Liste ließe sich noch beliebig fortsetzen. Sie sind ein Art neuronaler Sündenkatalog.
Ein wichtiger Hinweis auf solche dysfunktionalen Strukturen sind Gedankenmühlen oder Schleifen, Problemläufe die scheinbar keinen Eingang und keinen Ausgang haben.
Besonders schwerwiegend sind diese Strukturen im Beziehungsbereich. So kann man tatsächlich von neuronaler Sünde sprechen, weil diese Strukturen mich im ursprünglichen Verständnis des Wortes "Sund" für einen tiefen Meereseinschnitt ins Festland von anderen Menschen trennen.

Folgen neuronaler Sünde

Nun müssen wir uns darüber im klaren sein, welche Folgen diese dysfunktionalen Strukturen haben.
Grundsätzlich kann gesagt werden. Sie verbrauchen Energie, die eigentlich für unser Leben an anderer Stelle gebraucht wird.
Bei kleineren Fehlfunktionen ist das vielleicht noch nicht so schlimm und es gilt:

1Pet. 4:8 Vor allen Dingen habt untereinander beharrliche Liebe; denn »Liebe deckt der Sünden Menge zu«.

Das heißt ein stabiles soziales Umfeld kann hier vieles auffangen und tragen.
Aber weil diese Strukturen das Leben eben nicht fördern, bergen sie Gefahren in sich, sich nicht mehr den Herausforderungen des Lebens stellen zu können und im Extremfall den Kampf um das Leben auch zu verlieren.

Rom. 6:23 Denn ader Sünde Sold ist der Tod

Die Folgen sind sowohl individuell aber auch auf sozialer Ebene spürbar

auf individueller Ebene

Steigen die Herausforderungen und sinkt das eigene Energielevel, so fallen Energieräuber besonders ins Gewicht. Und dieser Vorgang ist leider nicht immer linear, sondern manchmal auch exponentiell. Strukturen die bisher vielleicht gut unterdrückt oder gemanagt werden konnten, geraten dann außer Kontrolle und lösen eine Stressreaktion aus.
Deswegen ist die eigene Psychohygiene so wichtig. Es gilt in guten Zeiten, die eigenen Probleme anzugehen. Aber leider muss es meistens erst krachen, bevor uns das bewusst wird.

auf sozialer Ebene

Auf sozialer Ebene summieren sich die Fehler aller Individuen.
So bringt das Konsumverhalten eines Menschen das ökologische Gleichgewicht noch nicht ins Wanken, das Konsumverhalten von Milliarden aber schon.
Das wird sich aber nur durch Apelle gar nicht oder nur zu langsam ändern, wir brauchen eine Änderung unserer dysfunktionalen Strukturen, die zu sehr auf äußere Belohnung und nicht auf innere Belohnungen ausgerichtet sind.
Das Überleben einzelner Organisationen oder gar der Menschneit steht auf dem Spiel, wenn dysfunktionale Strukturen nicht entlarft und geändert werden.
So wird es mit der Kirche auch nicht bergauf gehen, solange man meint durch menschliches Handeln die eigene Existens sichern zu können und sich nicht auf das Abenteuer des Glaubens einläßt.

Die Herkunft neuronaler Sünden

Wie sind diese dysfunktionalen Strukturen entstanden?

evolutionsbiologisch und phylogenetisch (stammesgeschichtlich)

Evolutionsbiologisch könnte man sagen: die Natur ist kreativ, sie lässt möglichst viele Strukturen entstehen und erst im weitere Leben muss sich dann herausstellen, ob eine Struktur funktional also lebensdienlich ist oder eben das Leben behindert. Lebewesen mit zu vielen dysfunktionalen Strukturen haben auf die Dauer keine Chance zu überleben und sterben einfach aus.
Ein Beispiel: Unser Stressystem wurde für das Überleben in der Steinzeit entwickelt. Hätten wir es damals nicht gehabt, gäbe es uns heute nicht. Heute ist es uns eher hinderlich und wir werden wahrscheinlch auf Dauer nur überleben, wenn wir lernen es zu steuern und zu modulieren.

ontogenetisch ( individuelle Entwicklung)

Neurologen gehen davon aus, dass sich wesentliche Funktionen unseres Gehirns vorgeburtlich und in den ersten Lebensjahren nach der Geburt entwickeln. Diese Entwicklungen sind grundlegend für die Ausbildung der Persönlichkeit.
Dies gilt z.B. für das Stressystem.
Ist zum Beispiel die Mutter während der Schwangerschaft zu viel Stress ausgesetzt, kommt es zu dysfunktionalen Strukturen im Stresssystem des Fötus.
Die Zusammenhänge sind empirisch nachgewiesen, allerdings sollte man m.E. mit Schlussfolgerungen noch vorsichtig sein.

Neuronale Erbsünde

Es macht deshalb Sinn von "neuronaler Erbsünde" zu sprechen, also von dysfunktonalen Strukturen, die bereits vorhanden waren, bevor ich willentlich durch meine eigenen Handlung darauf Einfluss nehmen konnte.

Neuroplastizität

Grundsätzlich entwickeln sich Gehrinstrukturen immer weiter. Selbst bis ins hohe Alter lassen sich Gehirnstrukturen verändern und dysfunktionale Strukturen verändern, theoretisch zumindestens.
Es gibt also neuronal betrachtet eine Möglichkeit zur Umkehr, aber auch die Möglichkeit durch eigenes Verhalten dysfunktionale Strukturen zu verstärken oder zu erlernen.

Kann man neuronal von der einen Sünde sprechen?

Empirisch gesehen kann man also durchaus von neuronalen Sünden sprechen. Ich denke, dass wurde durch die bisherigen Ausführungen klar.
Aber läßt sich wirklich alles auf die eine Sünde, also unsere Trennung von Gott zurückführen?
Zunächst ist diese Erkenntnis, wie die die Erkenntnis, dass Gott die wichtigste Beziehung ist, eine spirituelle Erkenntnis, die auf der virtuellen Ebene liegt.
Es macht keinen Sinn wenn diese eine Sünde die Beschäftigung mit den anderen Sünden bagatelisiert. Denn die bleiben ja weiterhin empirisch und real. Aber angesichts der schieren Menge der Sünden ist es zu nächst einmal hilfreich die Komplexität zu reduzieren und eine gemeinsame Wurzel zu haben.
Neruonal richtig daran ist, dass die meisten dysfunktionalen Strukturen mit einem Defizit im Identitätskern zu tun haben. Und nachdem unser Selbstbild wie eine lebendige Leinwand immer wieder gefüllt und gestaltet werden muss, gibt es hier viele leere Flecken.
Und genau hierauf zielt ja auch die Aussage von der einen Sünde: Wird die Trennung zur wichtigsten und mächtigsten inneren Ressource, die wir haben, Gott überwunden, überwunden, kann der oft defizitäre Identitätskern geheilt und neu gefüllt werden. Dies kann dann oft überraschende Auswirkungen auf die Menge der anderen Sünden haben.

  1. Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, S73 und §22. []