Wir müssen zunächst allgemein darüber reden, wie unser Gehirn Begriffe bildet. in einem zweiten Teil gehen wir dann darauf ein, welche besonderen Arten von Begriffen es gibt.
Wie können wir Begriffe neurologisch erklären?
Zur Begriffsbildung nötige Module
Begriffe sind eine eigenes Modul
((Siehe Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, §2.))
Sie bauen auf die Module der sensorischen Wahrnenhmug, Gefühl und das Gedächtnis, auf.
Alle diese Module ermöglichen es uns sowohl ein episodisches als auch ein semantisches Gedächtnis aufzubauen, das sich uns als ein Netzwerk von verbundenen neuronalen Mustern darstellt.
Symbolische Marker
Begriffe sind selbst neuronale Muster, die als symbolische Marker auf andere neuronale Muster verweisen..
- Der Marker kann auditiv sein, also eine Lautfolge, die ein Wort einer Sprache bezeichnet.
- Der Marker kann visuell sein, also z.B. ein graphisches Symbol oder ein Schriftzug, in dem das auditive Symbol codiert ist.
Semantische Verweisungen
Dieser symbolische Marker hat als Muster im Gehirn zahlreiche semantische Verweisungen. Das heißt, der Marker wird aktiviert, wenn eine dieser semantischen Verweisungen aktiviert wird und umgekehrt kann der Marker semantische Verweisungen in seinem Umfeld aktivieren. Jeder Begriff hat dabei nicht nur eine logische Komponente, sondern wie jeder Gedächtnisinhalt auch eine emotionale Komponente.
Begriffe bilden ein semantisches Netzwerk
Das semantische Netzwerk der Begriffe stellt damit etwas dar, was so in der Wirklichkeit nicht existiert. Die schon von Platon so beschriebene Welt der Ideen. Begriffe virtualisieren unsere Welt auf besondere Weise.
Physiologisch sind der Sprach- und Hörvorgang1 nachweisbar, sowie die Gehirnregionen für verschiedene Sprachen.((Vgl. Ibid., S. 147.))
Begriffe in ihrer Abhängigkeit zur empirischen Wahrnehmung
Je nachdem wie eng ein Begriff mit der empirischen Wahrnehmung verknüpft ist, lassen sie sich in die folgenden drei Gruppen einordnen:
- Die empirisch abgeleiteten Begriffe oder empirischen Begriffe.
- Die von diesen empirisch Begriffen wiederum abgeleiteten Begriffe, denen aber keine direkte empirische Wahrnehmung mehr entspricht. Ich nenne sie virtuelle Begriffe.
- Begriffe, die in keiner Abhängigkeit zur empirischen Wahrnehmung stehen, die reinen Begriffe.
Empirische Begriffe
Empirische Begriffe2 haben immer eine Verweisung auf eine äußere Wahrnehmung., d. h. sie werden durch eine äußere Wahrnehmung aktiviert, bzw. können in uns diese äußere Wahrnehmung wieder reproduzieren.
Sie bilden wohl die Mehrzahl unserer Begriffe.
Beispiele sind: Baum, Fluss, Sonne, Strauch, Wasser usw.
Virtuelle Begriffe
Virtuelle Begriffe3haben keine //direkte// Verweisung auf eine empirische Wahrnehmung. Sie können aber sehr wohl im semantischen Netzwerk auf empirische Begriffe verweisen.
Z.B. der Begriff „Gesellschaft“ lässt sich nicht durch eine einzelne empirische Wahrnehmung darstellen. In komplexen Gesellschaften mit mehreren tausend Individuen brauchen wir zur Beschreibung, was „Gesellschaft“ ist, mehrere empirische Begriffe., wie z.B. König, Parlament, Bauern, Ritter usw.
Sehr wohl kann aber der Begriff „Gesellschaft“ durch einen symbolischen Marker dargestellt werden, z.B. durch ein Schaubild der Gesellschaftspyramide.
Der virtuelle Begriff „Gesellschaft“ hat einen empirischen Gehalt, weil er direkt auf andere empirische Begriffe verweist und somit der Extrakt aus unserer empirischen Wahrnehmung ist.
Modelle, die ich einführe, um einen komplizierten empirischen Sachverhalt zu erklären, gehören ebenfalls zu den virtuellen Begriffen.
Zu den virtuellen Begriffen gehören auch die Wertebegriffe, wie z.B. "Freiheit", "Ehrlichkeit", "Hilfsbereitschaft" oder "Gastfreundschaft". Sie sind wesentlich stärker mit Emotionen verbunden als andere Begriffe (Ichbeteiligung) und beruhen auf Werteerlebnissen, die wir mit diesen Begriffen verbinden.((Vgl. Ibid., S. 128f.))
Reine Begriffe
Schwierig wird die Bestimmung virtueller Begriffe, die nicht mehr eindeutig auf empirische Begriffe verweisen.
Der Begriff „Schöpfergott“ verweist auf einen weiteren Begriff, die Vorstellung von der „Entstehung des Universums“. Da aber kein Mensch, bei der Entstehung des Universums dabei war, geschweige denn die ungeheuren Zeiträume überblicken kann, ist auch dieser Begriff virtuell und muss mühsam über eine Kette weiterer virtueller Begriffe, die schließlich irgendwann einmal ihren Rückhalt in empirischen Begriffen haben, rekonstruiert werden.
Die Gefahr besteht dabei, dass sich manche virtuelle Begriffe überhaupt nicht mehr aus empirischen Begriffen ableiten lassen können, sondern in einem Zirkelschluss über mehrere andere virtuelle Begriffe wiederum auf sich selbst verweisen.
Solche rein virtuelle Begriffe haben in der Philosophie eine große Rolle gespielt. Kant nannte sie die reinen Begriffe oder die Begriffe a posteriori.((*Kant, 1877))
Hermeneutischer Zirkel
Ein hermeneutischer Zirkel ist eine Kette aus reinen Begriffen, die auf sich verweisen und dabei Zirkelschluss bilden. Ein reiner hermeneutischer Zirkel besteht dabei nur aus reinen Begriffen. In den meisten Fällen tauchen im Zirkel jedoch auch virtuelle Begriffe auf, die einen Bezug zur Wahrnehmung haben.
Spezielle Arten von Begriffen
Individuen
Eine besondere Rolle innerhalb der Begriffe spielen die Individuen. Sie sind wahrscheinlich die Urbegriffe, denn wir haben zunächst gelernt, bestimmte Individuen mit Namen zu bezeichnen, z.B. Mamma und Papa. Erst allmählich haben wir dann gelernt die Fülle der Individuen mit Begriffen zusammen zu fassen, die mehrere Individuen enthalten, z.B. Eltern, oder der Begriff für Vater, der nicht nur mehr für den eigenen Vater, sondern für alle Väter (auch die der Nachbarskinder) steht.
Kinder und Naturvölker neigen dazu, jedes Lebewesen als beseelt und als individuelles Wesen anzusehen. Erst bei einer weiter entwickelten Denkleistung verlieren diese Wesen ihren Zauber und werden zu Vertretern einer Gattung oder Klasse.
Bei einem Individuum steht der Marker nur für einen einzelnen Gegenstand, dies ist meistens ein Eigenname oder ein Logo.
Von dem Modul der Individuen leitet sich die Module Person und Selbstbild ab.
Teilnetze des semantischen Netzwerkes
Das semantischen Netzwerk kann folgende Teilnetzwerke bilden:
- Sprachen
- Metasprachen
- Beziehungsnetzwerke.
- Zustände

Sprachen
Eine Sprache4ist eine Sammlung von Begriffen, die mir die Verständigung in einer Gruppe von menschlichen Individuen hinreichend ermöglicht. Eine Sprache bildet zunächst einmal für sich ein semantisches Netzwerk, das zwischen seinen Begriffen Verweisungen ermöglicht und das durch einen ausreichenden empirischen Begriffswortschatz eine hinreichende Abbildung der empirischen Wirklichkeit darstellt.
Die Kodierung erfolgt normalerweise mit auditiven Markern (phonetisch), sie kann aber auch durch Schriftsymbole (visuell) oder sonstige Symbole (Zeichensprache) gewährleistet werden.
Bei Mehrsprachigkeit muss es zwischen den semantischen Netzen der einzelnen Sprachen Verweisungen geben, um die Übersetzung der Begriffsinhalte zu ermöglichen.
Einfach ist dies bei den empirischen Begriffen, die auf die selben Wahrnehmungen verweisen. Hier wird einfach nur der entsprechende auditive Marker ersetzt.
Z.B. Haus für house.
Schwierig wird die Übersetzung bei mehrdeutigen Begriffen oder bei virtuellen Begriffen, die nicht eindeutig auf eine empirische Wahrnehmung verweisen.
z.B. Himmel für das englische sky und heaven.
Metasprachen
Metasprachen sind semantische Netze, deren Ziel es nicht mehr ist, die Alltagskommunikation zwischen menschlichen Individuen zu gewährleisten und möglichst die gesamte empirische Wirklichkeit in Begriffen abzubilden.
Metasprachen enthalten vorzugsweise virtuelle oder sogar reine Begriffe. Ihre Marker sind hochsymbolisch.
Metasprachen sind meist Kunstprachen, die entwickelt wurden, um abstrakte logische Operationen durchzuführen.
Beispiele für Metasprachen sind
- die Mathemathik5
- symbolische Logik etc
Module
Auch die herkömmlichen Module sind eine Metasprache. Sie sind eine künstliche Sprache und die Module sind Metabegriffe mit denen sich Begriffe noch einmal zu Begriffen zusammenfassen lassen können.
Beziehungsnetzwerk
Beziehungsnetzwerke sind semantische Netzwerke, die aus Individuen und Person bestehen. Sie sind damit Teilnetzwerke des gesamten semantischen Netzwerkes.
In diesem Netzwerk wird jedes Individuum durch einen Marker (Eigenname, Symbol) repräsentiert. Wir haben damit unser gesamtes soziales Umfeld in unserem Gehirn virtuell repräsentiert.
Von jedem Individuum sind dabei nicht nur empirische Wahrnenhung (Aussehen, Geruch, Sprache), sondern auch Episode abgespeichert. Auf Grund dieses umfangreichen Wissens können wir soziale Handlungen virtuell vorausplanen.
Beziehungsnetzwerke waren und sind notwendig für unser Überleben. Die Menschen konnten früher nur als Gruppe überleben und die Aufzucht der Kinder erfordert sowohl von Eltern und Kindern hohe soziale Fertigkeiten.
- Vgl. Carter, Das Gehirn, 2010, S. 144 ff. [↩]
- Edelmann nennt sie „Eigenschaftsbegriffe“,Edelmann, 2000, S. 116. [↩]
- Edelmann nennt dies die „Erklärungsbegriffe“ oder „Konstrukte“, Ibid., S. 123. [↩]
- Vgl. zu diesem Abschnitt: Karnath und Thier, 2012. S- 415-492; Lohaus und Vierhaus, 2013, S. 155-167. [↩]
- Vgl. zur Zahlenverarbeitung Karnath und Thier, 2012, S. 493-528. [↩]