Die Kirche ist immer erlösungsbedürftig

Ecclesia semper salvanda
Festpredigt zum Reformationstag in St. Anna, Augsburg

Predigttext

Gal 5,1 Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! 2 Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. 3 Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. 4 Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen. 5 Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss. 6 Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist. 7 Ihr lieft so gut. Wer hat euch aufgehalten, der Wahrheit nicht zu gehorchen?

Persönliche Betroffenheit

Reformation mein Lebensthema

Es ist mir heute eine groß Ehre und Freude, diese Reformationspredigt hier in der Annakirche in Augsburg zu halten. Die Annakirche atmet mit ihrer Lutherstiege ganz besonders den Geist der Reformation.

Reformation ist sozusagen mein Lebensthema. Mein Eltern haben mich nach dem Reformator „Martin“ genannt und die Reformation und Erneuerung der Kirche ist zu meinem Lebensthema geworden.((vgl. der Artikel "Mein Leben und die Kirche")) Das werden sie im Laufe der Predigt noch spüren. Wo fangen wir an?

Geschichte mein Hobby

Wir haben heute nicht das Lied ein „Feste Burg“ gesungen.

Aber das Bild der Wartburg, auf der Luther 1521-22 das NT übersetzte gehört mit zu den Bildern die die Reformation geprägt haben.

Burgen und vor allem Burgruinen waren das Hobby meiner Kindheit. In den Familienurlauben haben wir das Urlaubsgebiet systematisch nach diesen Zeugen der Vergangenheit abgegrast.

Es ist schon faszinieren so eine Burg zu sehen, die hohen Türme, die dicken Mauern.

Spannender als das Besichtigung von erhaltenen Burgen war aber immer der Besuch von Burgruinen.

Und wenn auch nur ein Mauerrest vorhanden zurückgeblieben war so regte gerade der die Phantasie und auch den sachkundigen Verstand an. Wie mag die Burg früher ausgehen haben?

Und als Kind hatte ich einen Wunschtraum, ein solche Ruine wieder auf zubauen. Leider hat mir dazu das nötige Kleingeld gefehlt.

Geschichte und Theologie

Das Hobby Geschichte ist natürlich dann irgendwie in mein Beruf als Pfarrer und Theologe mit eingeflossen.

Theologie hat ja viel mit Geschichte zu tun: Kirchengeschichte z.B. aber auch in den Bibelwissenscchaften geht es ja um die Rekonstruktion dessen, was die Texte ursprünglich bedeutet haben.

Heute am Reformationstag gedenken wir eines geschichtlichen Ereignissen Des Thesenanschlages Martin Luthers von 1517.

Der die Reformation ausgelöst oder sagen wir besser erst so richtig in Schwung gebracht hat.

Und wir blicken gleichzeitig auf die Situation des Apostel Paulus, in der er unseren Predigtext geschrieben hat, datiert ungefähr auf das Jahr 54-55 nach Christus

Die brennenden Fragen von heute

Aber wir sehen natürlich auf die Geschichte zurück weil wir unsere eigenen Fragen haben. Und wir haben heute viele brennende Fragen, ganz besonders was die Zukunft der Kirche angeht.

Ist sie auf dem Weg eine Ruine zu werden, wird sie zerfallen? Was müssen wir tun, um sie zu reparieren oder vor dem Verfall zu retten?

Und so suchen wir in der Reformationsgeschichte und in den biblischen Texten, Trost und Halt und Antworten für unsere eigenen Fragen.

ecclesia semper salvanda

Nichts Neues unter der Sonne

Nichts Neues unter der Sonne, dieser Spruch aus dem Buch Prediger (1,9) steht als Motto über meiner Dokotorabeit mit dem wohlkingenden Namen „Die Diskussion über die Unkirchlichkeit, ihre Ursachen und möglicher Abhilfen im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert“.

Und tatsächlich es stimmt: Nichts Neues unter der Sonne

Umkehren oder Untergehen

„Umkehren oder Untergehen“ so titelt Alexander Garth sein Buch zur aktuellen kirchlichen Situation, gerade eben erst erschienen.((Vgl. dazu meine Rezension "Umkehren oder Untergehen" mit weiteren Literaturangaben))

Vergleicht man dieses Werk mit dem genau zweihundert Jahre Buch des Artzes De Valenti von 1821 „Vom Verfall der protestantischen Kirchen“ fallen die Parallelen sofort auf. Die Hauptursache für die Krise der Kirche in der Neuzeit, ist eine reduktive Lehre von Christus in der Neuzeit. So Alexander Garth.

Ich sag das mal auf Deutsch was Alexander Garth da meint: Wir haben nur noch eine Schmalspur- Christologie. Wir haben in den letzen zweihundert Jahren mehr und mehr das klare Bild verloren, wer Jesus eigentlich ist

Ja Jesus als Lehrer, als ethisches Vorbild das können wir noch ganz gut verkaufen, aber wer kann denn heute noch schlüssig erklären, was die Aussage, Jesus ist der Sohn Gottes im Sinn der lutherischen Bekenntnisschriften noch heißt?

Drehen wir uns seid 200 Jahren im Kreis?

Drehen wir uns also seit zweihundert Jahren im Kreis? Verdrängen wir also solche Stimmen wie von De Valenti und Alexander Garth, weil sie uns vielleicht zu fromm, zu konservativ oder was auch immer sind?

Das wir uns aber im Kreis drehen wird an vielen Stellen sichtbar. Alle paar Jahre gibt es eine neue Reform eine neues Hoffnungspaket, eine neue Strategie.

Kirche im Reformstress“ so titelt die Theologie Professorin Isolde Karle ein Buch.((Karle, I. (2011), Kirche im Reformstress, Güterloh))

Und glauben sie mir, vieles was in den Reformpapieren der letzen Jahre geschrieben worden ist, wurde im Ansatz auch schon vor zweihundert Jahren diskutiert.

Wir drehen uns im Kreis und ich habe das Gefühl die Geschwindigkeit wird schneller. Und es ist manchmal ein Teufelskreis: aus schwinden Ressourcen, Verlust der Motivation, Frustration und die dann wiederum zur Erfolglosigkeit führt.

Die in sich selbst verkrümmte Kirche

Luther hat über den Menschen gesagt. Der Mensch ist in sich selbstverkrümmt. Er dreht sich um sich selbst und findet doch nicht zu sich.((Vgl. WA 56, 304, 25-29: "Unsere Natur ist durch die Schuld der ersten Sünde so tief auf sich selbst hin verkrümmt (lat.: tam profunda est in seipsam incurva), daß sie nicht nur die besten Gaben Gottes an sich reißt und genießt, ja auch Gott selbst dazu gebraucht, jene Gaben zu erlangen, sondern das auch nicht einmal merkt, daß sie gottwidrig, verkrümmt und verkehrt alles […] nur um ihrer selbst willen sucht."))

Könnte man und müsste man nicht auch sagen: Die Kirche ist in sich selbst verkrümmt. Trotz aller Bemühungen uns zu reformieren, uns selbst zu verändern, können wir mit der Veränderungen gar nicht mehr mithalten und verlieren mehr und mehr an Boden.

Die Kirche ist immer erlösungsbedürftig

Dann aber müsste die reformatorische These, dass die Kirche immer reformbedürftig ist (Ecclesia semper reformanda)(( sie wird zwar Luther zugeschrieben stammt aber wahrscheinlich erst von Jodocus van Lodenstein 1620-1677)) noch einmal neu fassen. Es kann nicht nur darum gehen, dass wir Menschen die Kirche reformieren, sondern dass Jesus der Herr der Kirche seine Kirche reformiert. Dann aber müsste es treffender heißen: Die Kirche ist immer erlösungsbedürftig: ecclesia semper salvanda

Vom wem muss die Kirche gerettet werden?, nicht durch uns, sondern durch Jesus Christus.

Was sagt uns der Predigttext heute?

Kommen wir zum Predigttext:

Situation Paulus

2 Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. 3 Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. 4 Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen.

Es bestand also wohl schon damals die Gefahr Christus zu verlieren“.

Woran bestand die Gefahr? In Galatien missionierten judenchristliche Missionare, die von den heidnischen Christen die Beschneidung nach jüdischem Ritus forderten, um vollständig erlöst zu sein.

Paulus konnte hier keinen Kompromiss eingehen: Wenn die Beschneidung zur Erlösung erforderlich ist, wozu braucht man dann Jesus noch? Dann kann man ihn auch gleich weglassen und ihn vergessen, weil er dann wie Paulus sagt, nichts nützt.

Situation Luthers

Martin Luther war in einer ganz ähnlich Situation zu einer ganz anderen Zeit. Durch den Ablass hatte die katholische Kirche einen Weg aufgetan an Christus sich das Heil zu erkaufen. Und neben dem Ablass gab es noch viele Möglichkeiten, durch gute Werke sich sei Heil zu sichern, ohne auf Jesus zu vertrauen.

Dauergefahr in der Kirche

Es scheint so etwas wie eine Dauergefahr in der Kirche zu sein: Wir wollen uns absichern, wir wollen die Situation kontrollieren.

Und deshalb bauen wir eben mehr auf Rituale, äußerliche Zeichen, fromme Werke, Ablaßbriefe, unser Können, unsere Reformpapiere unsere Managmentkünste oder was es auch immer ist.

Doch es ergibt sich dann immer wieder die Frage? Wozu brauchen wir dann Christus dann noch? Was nützt uns Christus dann heute noch?

Doch wenn wir Christus verlieren, dann fallen wir in die Gesetzlichkeit zurück: Wir versuchen unser Leben durch Gesetze, Verordnungen, Trainigspläne, Checklisten und Reformpapiere in den Griff zu bekommen.

Steuern oder kontrollieren?

Was sagt die moderne Humanwissenschaft, die Psychologie und die Neurologie zu diesem Problem?

Es wird hier unter dem Thema „Selbstkonrolle oder Selbststeuerung“ verhandelt. Wahrscheinlich wissen viele Wissenschaftler, dass sie dabei ein Grundproblem der paulinischen und lutherischen Theologie aufgreifen und uns ist noch gar nicht bewusst, dass Psychologie und Neurologen mittlerweile unser Zentralthema behandeln. Ich kann natürlich jetzt nicht die ganz wissenschaftliche Diskussion wiedergeben und fasse mich kurz:(( vgl dazu mein Exposee "Neuronale Selbststeuerung"))

Selbstkontrolle

Eine zu starke Selbstkontrolle ist nicht gesund. Sie macht den Menschen unfrei. Zu viele Verordnungen, Gesetze, Verbote, Richtlinien überfordern uns. Wir hecheln dann nur noch diesen Vorgaben hinter her, unser Gehirn ist ständig überlastet und im Stressmodus. Und wir müssen dabei ständig unsere eigenen Gefühle und Bedürfnisse zurückdrängen. Paulus schreibt dazu lapidar „Der Buchstabe tötet“ (2 Kor 3:6)

Selbststeuerung

Aber was ist nun das Leben aus dem Geist, der lebendig macht? (2Kor 3,6)- Die Psychologie nennt das Selbststeuerung. Wir leben dann nicht gegen unsere eigenen Gefühle und Bedürfnisse sondenr mit ihnen und binden sie dynamisch in unser Leben ein. Und wir leben weniger nach äußeren Vorschriften, sondern aus den Lebensabläufen, die wir so sehr verinnerlicht haben, dass sie quasi automatisch ablaufen. So wie das Fahrradfahren, dessen Koordination und Bewegungsabläufe wir in unserem prozeduralen Gedächtnis abgespeichert haben.

Die Psychologie nennt diesen Zustand „Flow“- Man ist im Fluss. Ganz präsent, ganz konzentriert, die Arbeits und Bewegungsabläufe laufen dann weitgehend automatisch von Innen heraus.

Weil sie so würde der Prophet Jeremia sagen, Gott sein Gebot in unser Herz geschrieben hat (Jeremia 31,31)

Die Macht der inneren Bilder

Ja nun kommst, womit wir uns als Kirche des Wortes so schwer tun.

Die Steuerung dieser inneren Prozesse erfolgt in erster Line nicht mit Worten, sondern mit Bildern! Es ist leichter Flowzustände oder sagen wir es theologisch geisterfüllte Zustände durch Imagination von inneren Bilder((Dazu habe ich Sommersemester 21 an der Hochschule Augsburg ein Seminar gehalten "Die Macht der inneren Bilder")) auszulösen als durch Worte.

Ist ja auch logisch, wir sehen als Kinder , bevor wir Sprache verstehen und sprechen konnten. Und die wenn unsere Vorfahren in der Evolution nicht gefahren optisch hätten entdecken können, wäre sie erst gar nicht dazu gekommen Sprache und Schrift zu entwickeln..

Die Werbebrache kennt diesen neurologischen Mechanismus und über Bildern zu steuern. Und jeder bessere Sportcoach weiß das auch. Er ist allgemein bekannt und wird nun mehr und mehr von Psychologie und Neurologie erforscht.

Aber der Psychologie und Neurologie ist es egal, welche Bilder uns da steuern.

Das kann ein Baum sein, mit dem sie ihr Leben organisieren.

Das kann aber auch eine Waschmaschine sein, die irgendetwas für sie symbolisiert. Es ist egal.

Deshalb bleibt in der Neurologie und Psycholgie die Frage offen, mit welchen Bildern wir uns antriggern lassen? Welche Bilder sollen unser Leben steuern?

Da haben wir als Christen das stärkste und bedeutsamste Bild anzubieten:

Gal 3,1 O ihr unverständigen Galater! Wer hat euch bezaubert, denen doch Jesus Christus vor die Augen gemalt war als der Gekreuzigte?

Die Kirche eine Ruine?

Eine Kirchenruine in Großbrittanien

Wer England besucht findet dort besonders viele Kirchenruinen. Viele wurden während der Regierungszeit Heinrich VIII zerstört. Ein erster Säkularisationsschub.

Werden unsere Kirchen bald auch Ruinen sein oder vielleicht nur noch Museen einer längst vergangenen Zeit?

Aber mit dem Bild der Ruine ist ja nicht nur das Gebäude gemeint. Kriche ist ja auch eine soziale Gemeinschaft, ein geistlicher Bau. Ist dieser Bau schon eine Ruine oder zumindestens stark reperaturbedürftig?

Das Leben eine Baustelle

In den Ruinen der alten Kirchen finden sich oft auch Grabstellen, die nun schutzlos der Witterung ausgesetzt sind manchmal ist nur noch die Grabmulde zu sehen ohne Deckel.

Das erinnert mich an eine andere Baustelle. Mein Leben ist ständig reparaturbedürftig.

Nicht nur im fortschreitenden Alter im medizinischen Sinn, sondern eben auch geistlich!

Vieles kann ich selber mit Boardmitteln richten: Der Morgensport, die gute Ernährung, eine gute Psychohygiene.

Aber alles Bemühen um mein Leben wird doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich sterben werde.

Der Tod ist und bleibt die letze Baustelle in meinem Leben.

Lassen wir den Erlöser ran?

Und so bleibt die Frage: Lassen wir ihn ran, den großen Baumeister des Lebens an die vielen Baustellen in unserem Leben und in unserer Kirche. Geben wir Jesus eine Chance unser leben zu erlösen und unsere Kirche zu ernneuern?

Hebr 4,16

Le Darum lasst uns freimütig hinzutreten zu dem Thron der Gnade, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden und so Hilfe erfahren zur rechten Zeit.

Schlussthese

Am Reformationstag ist's gute Tradition Thesen zu formulieren. Ich habe nicht 95, sondern nur eine einzige:

Wenn wir uns nicht wirklich um Jesus Christus bemühen und mit allem Ernst danach suchen und fragen, was es heute heißt,

dass Jesus unser Leben erlöst,

wie in das Leben von Menschen eingreift

und wie er seine Kirche erlösen will,

dann werde alle unsere menschlichen Reformbemühungen um die Kirche scheitern. Dann werden auch wir scheitern!

Denn dann haben wir Christus verloren und er ist uns zu nichts nütze.

Ich jeden Falls versuch das seid geraumer Zeit in dem ich als Grenzgänger zwischen Neurologie und Theologie versuche Querverbindungen aufzudecken.((vgl dazu meine Beiträge zur neuronalen Theologie und einfach Jesus))

2 Antworten auf „Die Kirche ist immer erlösungsbedürftig“

  1. Lieber Martin,

    wenn Christus die Mitte bleibt, wird die Kirche nicht zur Ruine.
    Das Fundament ist stark.
    Ich sehe das aber auch so, dass sie einer großen Baustelle gleicht, aber mit dem Hinweisschild: Betreten und mitarbeiten ausdrücklich erlaubt! Der große Unterschied besteht darin, dass Jesus selbst als Baumeister mit Hand anlegt. Darin liegt weiter eine große Chance, dass Kirche und Jesus sichtbar bleiben.
    Es wäre so wichtig, weil jeder Mensch erlösungsbedürftig bleibt und auf der Suche ist.
    Ansprechende Reformationspredigt.

  2. Lieber Martin ,
    Du hast recht . Aber was muss geschehen?
    Ich glaube , der heilige Geist braucht keine Kirchen um zu wirken , das kann er auch auf einem Aldi Parkplatz.
    Wenn die Kirche ihn ausschließt und keinen Raum gibt, wird sie bedeutungslos werden , wenn sie es nicht schon ist .

    Liebe Grüße
    Maria

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