Geist

Das Essay Neuronale Theologie(( Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018.)) bietet noch keine eigene Lehre vom Hl. Geist. Deswegen werden hier die wichtigsten Ergebnisse zusammengestellt und dann weiter entwickelt.

Zugänge zum Geist in der Neuronalen Theologie

Neuronale Zustände

Neben einer begriffsorientierten und beziehungsorientierten Theologie bietet eine Theologie, die auf Zuständen des Bewusstseins basiert eine Möglichkeit, über den Geist zu reden.((Vgl. Burkhardt, neuronale Theologie, 2018, §9 (3).)).

Damit wird die Fähigkeit, Zustände zu erfassen und zu verändern, zu einer wichtigen Voraussetzung, Gott in unserem Gehirn zu erfassen.((Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, §10 (2).))

Gott als Zustand, ist Gott als erste Person ("Ich") in mir.1

Mit der Erfahrung von Zuständen wird mein Bedürfnis nach Ganzheit und Einheit befriedigt.2

Diese Ganzheit wird immer wieder durch die Erfahrung von desintegrierten Zuständen in Frage gestellt.((Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, §20 (2a).))

Der Glaube ermöglicht es mir zu integrierten Zuständen zurück zu kehren.3 In diesen Zuständen erfahre ich Gottesnähe.((Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, §20 (3) und §21 (1a).))

Es gibt eine Ersterfahrung, in denen uns die Gegenwart Gottes geschenkt wird.4
Diese Ersterfahrung gilt es im eigenen Leben Raum zu geben, sie wachsen zu lassen und zu integrieren.((Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, §21 (4b).))

Soziale Zustände

Das Essay Neuronale Theologie bietet einen ersten Ausblick, ob eine Übertragung neuronaler Erkenntnisse auf soziologische Zustände möglich ist.5

Unter gewissen Einschränkungen ist eine Übertragung vom Zustand neuronaler Netze auf soziale Netze möglich.((Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, §22 (1).))

Dieser Zusammenhang kann als Isomorphie beider zwischen neuronalen und sozialen Netzen verstanden werden.((Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, §22 (3a).))

Dabei ist eine Übertragung oder Wechselwirkung zwischen beiden Netzen denkbar.

So können integrierte oder desintegrierte Zustände von neuronalen Netzen auf soziale Netze überspringen und umgekehrt.6

Deshalb ist auch eine Gotteserfahrung in einem integrierten sozialen Netz möglich.7

Neuronale Genese der Geistvorstellung

Die empirische Basis

Aus dem bisher gesagten lässt sich die empirische Basis für einen virtuellen Begriff "Geist" zusammenfassen.

Der Geist als innerer Zustand des Menschen

Ich erfahre mich selbst, meinen inneren Zustand.

Der Geist als Gemeinschaftsgeist

Ich erfahre mich in einer Gemeinschaft, in Wechselwirkung mit anderen Menschen

Der allgemeine virtuelle Begriff "Geist"

Beide Erfahrungen werden neurologisch zu einem virtuellen Begriff "Geist" verknüpft. Diese liegt etwa in Hegels Phänomenologie des Geistes vor8.

Der virtuelle Begriff heiliger oder göttlicher Geist

Die Verschmälerung der empirischen Basis

Stell der Begriff Geist schon eine Virtualisierung gegenüber der empirischen Basis dar, so führt die Unterscheidung zwischen menschlichen und göttlichen Geist zu einer weiteren Virtualsierung.
Denn für den menschlichen Geist haben wir eine relativ breite empirische Basis, nämlich unsere eignen Zustandserfahrungen und die Erfahrung von menschlichen sozialen Zuständen.
Vom göttlichen Geist aber aber haben wir direkt keine empirischen Zugang. Wir müssen vielmehr durch eine Filter, diejenigen Erfahrungen aus den allgemein menschlichen Erfahrungen herauslösen, die wir für göttlich oder heilig halten. Durch diese Filterungsprozess verschmähtert sich die empirische Basis.

Entscheidung durch Bezug auf ein religiöses Referenzsystem

Wir können nur bestimmte Zustände als religiös oder heilige nennen. Dazu brauchen wir aber ein eigenes religiöses Referenzsystem.((Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, §21 (2) )).

Dies kommt etwa in der Unterscheidung zwischen integrierten und desintegrierten Zuständen zum Ausdruck.((Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, §20 (1). ))

Folgende Unterscheidung geht auf Ignatius von Loyola zurück9

Geist GottesAber Geist
zeigt sich als tiefe,ruhige Bewegung, die bleibtkommt oft in Gefühlswallungen und Übertreibungen
birgt trotz Schwierigkeiten etwas Verheißungsvollesentmutigt, schafft das Gefühl der Überforderung
macht Dinge klarer; führt zur Einfachheitmacht es unnötig kompliziert und verwirrt
bewegt zur Offenheit, Gespräch und Bereitschaft sich in Frage stellen zu lassenverführt zu Verallgemeinerungen und Verabsolutierungen: "ständig", "alles", "total"
lädt ein, Entscheidungen zu wagenversucht abzukapseln, zu isolieren, festzuhalten
gibt Kraft und Trosttrifft meist dieselbe Schwachstelle

Unbestimmtheit des Hl.Geistbegriffes

Diese verschmälerte empirische Basis führt nun auch zu einer Unbestimmtheit des Hl.Geist-Begriffes. Er lässt sich eben nicht fassen. Er bleibt vage.((Vgl. dazu die Ausführungen in Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, §22.))

Stärkung des Hl. Geistbegriffes innerhalb der Trinitätslehre

Er innerhalb der Trinitätslehre gelingt es dem Hl. Geist seinen Platz zuweisen, weil er durch die beiden anderen virtuellen Begriffe "Gott" und "Sohn" stabilisiert wird.
Er profitiert von der narrativen Basis von Gott Vater10 und von Gott Sohn11 und erhält im biblischen Kontext seine eigene narrative Basis12

Folgerungen

geschlossen vs. offene Theologie

Auf das Problem der geschlossen und der offenen Theologie bin ich bereits am Anfang der //Neuronalen Theologie// eingegangen.((Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, S.13ff.))
Was kann Paulus in 1Kor 2, 14 gemeint haben?

Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen; denn es muß geistlich beurteilt werden.

Betrachtet man diese Aussage rein von dem kognitiven Aspekt her, so führt sie dann tatsächlich zu einem in sich abgeschlossenen System. Dies würde aber gerade das Gegenteil des oben beschriebenen Wirken des Geistes bedeuten, das die Bereitschaft, sich in Frage stellen zu lassen als ein Wirken des hl. Geistes voraussetzt.

Dieses Paradoxlöst sich nur auf, wenn man von einem ganzheitlichen, holistischen Erkenntnisbegriff ausgeht. Gott kann eben nicht nur kognitiv erfasst werden, sondern muss eben auch über die persönliche Beziehung und die Erfahrung des eigenen Körpers erkannt werden. Dies ist die Kernthese des Essays "Neuronale Theologie.13
Das hebräische Wort für Erkennen meint nicht nur ein kognitives, sondern ein interpersonelles und leibliches Erkennen.

Paulus meint in 1K 2,14 also nicht ein kognitives oder rein philosophisches Erkennen, sondern ein interpersonelles und mit der Wahrnehmung der Zustände unsere Leibes verbundenes Erkennen.

Mit anderen Worten: Gott kann nicht nur als ein "Es", als ein Objekt unseres Verstandes erkannt werden. Eine rein abstrakte Theologie führt ins Leere.
Gott muss auch als ein Gegenüber, ein "Du" erkannt werden.
Und er muss auch in mir als ein "Ich" wahrgenommen werden.

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  1. Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, §10 (3c). []
  2. Vgl. Burkhardt, neuronale Theologie, 2018, §20 (2). []
  3. Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, §20 (2b). []
  4. Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, §21 (4a). []
  5. Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, §22. []
  6. Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, §22 (3c). []
  7. Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, §20 (4). []
  8. Hegel, Phänomenologie des Geistes, 1807 []
  9. Copyright Gemeinschaft Christlichen Lebens. []
  10. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, S. 67. []
  11. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, S. 64 []
  12. Burkhardt, Neuronale Theologie, S.69 []
  13. Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, §9. []