Gott

Neurologische Unbestimmtheit des Gottesgedankens

Wir müssen zunächst feststellen, dass wir Gott nur schwer erfassen können. Er ist kein Begriff wie jeder Andere. Er ist von einer bleibenden Ungewissheit geprägt. Wir können weder mit Sicherheit sagen, dass es Gott gibt, noch mit Sicherheit ausschließen, dass es ihn gibt.

Glaube und Religion haben nun den Zweck uns über diese Ungewissheit hinweg zu helfen und uns selbst zu vergewissern. Diese Selbsversicherungsfunktion des Glaubens kann in vielen Religionen nachgewiesen werden.

Gleichzeitig geht es aber bei der Gottesfrage, um Fragen, die uns existentiell angehen. Um die Frage nach Leben und Tod, die Frage nach Liebe und Sinn. Diese Fragen können auch auf anderem Wege nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Sie bleiben offen und doch hängt unser ganzes Leben davon ab.

Neurologische Wege, wie unser Gehirn Gott erfasst

Dabei verwenden wir die drei Module Begriff Beziehung und Zustand.1

Gott als Begriff

Wenn Gott ein Begriff ist, dann ist er ein Teil unseres semantischen Netz, das heißt, andere Begriffe können auf ihn verweisen, ebenso können mit ihm Gefühle oder Wahrnehmungen verbunden sein.
Gott ist zunächst einmal ein sprachlicher oder symbolischer Marker, der diese Verweisungen im Netzwerk repräsentiert.
Gott kann innerhalb der Modulklasse der Begriffe von jeder Unterklasse abgeleitet werden.

Gott als empirischer Begriff

Gott kann direkt von einer empirischen Wahrnehmung her abgleitet werden. Wir haben z.B. beim Anblick eines schönen Sonnenuntergang oder eines hohen Berges ein religiöses Empfinden.
Wir spüren einen tieferen inneren Frieden in uns.

Wir dürfen jedoch niemals diese Wahrnehmungen mit Gott gleich setzen.
Gott ist nicht der Sonnenuntergang oder der hohe Berg und auch nicht der tiefe innere Friede in uns. Diese empirischen Erfahrungen verweisen nur auf Gott.

In der Religionsgeschichte ist diese Unsicherheit dadurch überbrückt worden, dass Naturphänomene als Naturgottheiten identifiziert worden sind.

Gott als virtueller Begriff

Es gibt empirische Begriffe, die auf Gott verweisen (signa), der jedoch selbst niemals ganz durch diese empirische Begriffe erschlossen werdenkann. So verweist die Schönheit dieser Welt auf den Schöpfer, der sie erschaffen hat.
Somit verbleibt Gott als Begriff ein Hypothese((Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, S. 19, so auch schon Pannenberg.)). Sie kann manches erklären, machen nicht erklären. Ihre Gültigkeit kann sich durch neue empirische Erfahrungen bestätigen, sie kann aber ebenso gut widerlegt werden.

Ungenügen einer begriffsorientierten Theologie

Eine ehrliche Theologie muss das Ungenügen einer allein auf Begriffen orientierten Theologie eingestehen2. Sie führt in unauflösliche Aporien, wie die Frage nach Gottes Gerechtigkeit3. Zwar kennt eine begriffsorientierte Theologie verschiedene Abwehrmaßnahmen, wie z.B. die Lehre vom verborgenen Gott4, eine neuronale Theologie entlarvt diese Konstrukte jedoch als das was sie wirklich sind: Abwehrmaßnahmen unseres Verstandes, die den berechtigten Zweifel eindämmen wollen.
So müssen wir ehrlicherweise feststellen, dass der Glaube vieles nicht erklären was, was wir gerne erklärt hätten und dass viele Fragen offen bleiben.

Gott als Person

Gott ist ein Teil unseres Beziehungsnetzwerkes. Als Person wird er als ein Gegenüber zu uns Menschen verstanden. Damit spiegelt sich sein Sein auch notwendigerweise in unserem Selbstbild wieder.
Mit diesem Ansatz wird Gott aus der Sachebene der Begriffe entrissen und wird zu einer Person. Was für andere Personen und für mich selber gilt, gilt auch für Gott. Personen sind nicht voll durchschau und begreifbar. Damit ist ein wesentliches Problem der begriffsorientierten Theologie gelöst.
Dafür ergeben sich jedoch andere Probleme. Auch Gott als Person bleibt neuronal unbestimmt.

Wie kann ich Gott als virtuelle Person erfahren?

Jede andere Person in meinem Leben kann ich fassen, fühlen, greifen. Virtuelle Personen kommen in unserem alltäglichen Leben nur etwa als //iuristische Personen// vor. Ich brauche andere empirische Erfahrungen, um mir Gott als virtuelle Person zu erschließen. Dazu zählen etwa das Narrativ der Bibel5 oder die Sakramente6.

Wie ist Gott als Person zu mir?

Akzeptiert man zunächst einmal das eine Person für uns nicht durchschaubar und begreifbar ist, so bleibt dennoch die Frage über, wie sich diese Person zu mir verhält? Ist sie Freund oder Feind an mir interessiert oder desinteressiert? Gott bedeutet für mich als sterblichen Menschen immer eine Bedrohung7 Unser Gehirn entscheidet blitzschnell ob wir unser Herz für eine Person aufschließen oder ob wir ihn als potenziellen Feind sehen?
Letztlich läuft das alles auf die Frage hinaus: liebt mich Gott wirklich?8. Diese Frage machen wir Menschen immer sehr stark davon abhängig, ob eine Person unsere Bedürfnisse erfüllt.
Diese entscheidende Frage hat Gott selbst am Kreuz beantwortet((ebenda)).

Gott als Zustand

Die unterschiedliche empirischen Erfahrungen

Zustandserfahrungen als konkrete Erfahrungen

Auch Gott als Zustand ist ein virtueller Begriff. Er wird auf Grund besonderer Zustandserfahrungen gebildet.

  • Dies ist einmal die Zustandserfahrung des eigenen Körpers(Vgl. Burkhardt Neuronale Theologie, 2018, §§20-22, bes. S.74))
  • Zum anderen die Erfahrung eines //sozialen Zustandes//, z.B. einer Gruppe oder Gemeinschaft9

Während Gott als Begriff eine breite empirische Basis hat, im Normalfall die Welt als Ganzes und damit oft abstrakt und schwer fassbar.
Gott als Person ist mir als Begriffe empirische nicht unmittelbar zugänglich, ich brauche ein Narrativ oder die Sakramente als übermittelnde Medien.
Gott als Zustand beruht dagegen auf eine sehr konkrete Erfahrung. Es ist Körpererfahrung. Erfahrung des eigenen Körpers oder eines sozialen Körpers, in dem ich mich gerade befinde.
Es sind dabei gerade die Zustände der Einheit oder die integrierten Zustände, die Gotteserfahrungen ermöglichen10.Sie können als //spirituelle Erlebnisse// gedeutet werden.

Auch Zustandserfahrungen sind neurologisch unbestimmt

Das darf natürlich nicht darüber hinweg täuschen, dass auch Zustandserfahrungen, wie eingangs erwähnt, neurologisch unbestimmt sind.Sie brauchen einer Deutung11 Diese Deutungen bezieht die Zustandserfahrung aus einem Referenzsystem, in dem auch Gott als Begriff und als Person eingebunden sind.

Die theologische und neurologische Präferenz der Zustandserfahrungen

Neurologische Präferenz

Begriff bilden sich immer von konkreten Erfahrungen her. Die Vorstellung von Gott als der Schöpfer der Welt oder als liebender Vater beruht nicht auf unmittelbarer Erfahrung, sondern sind das Ergebnis eines längeren Reflexionsprozesses. Die Erfahrung eines integrierten körperlichen oder sozialen Zustandes ist eine unmittelbare und konkrete Erfahrung und kann zu einem Ausgangspunkt für weitere theologische Reflexion werden. Es ist deshalb neurologisch vertretbar, dass solche Zustandserfahrung den Ursprung der religiösen Entwicklung des Menschen sind.

Theologische Präferenz

Diese neurologische Präferenz hat immer wieder auch in der Theologie Eingang gefunden, so etwas bei //D.F. Schleiermacher// oder //R. Otto//12. Allerdings sind die Versuche dazu eher zaghaft. Noch Herrscht hier eine sehr starke Orientierung am begrifflichen Denken vor. //K. Barth//, der Vertreter der Wort Gottes Theologie((Barth, Die kirchliche Dogmatik, 1932 entfaltet seine Lehre vom Wort her.)). Allerdings hat auch Barth an seinem Lebensende gesehen, dass er sein Werk noch einmal neu hätte schreiben können.13

Die Überwindung der neurologischen Unbestimmtheit des Gottesbegriffes

Aus dem bisher gesagt wird deutlich, dass eine einseitige Erfassung Gottes auf nur einem Weg neurologisch instabil ist. Sie bricht in sich zusammen, kann für sich alleine nicht bestehen.
Erst die gleichzeitige Aktivierung aller drei Module führt dazu, das sich die Aktivierungen gegenseitig stützen und stabilisieren. Dies ist entspricht auch grundsätzlich dem Konzept des Glaube als eines geschützten neurologischen Bereiches.
Erst in der Vereinigung aller drei Zugänge des menschlichen Gehirns entsteht ein stabiler Glaube.((Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, §11 S. 32 ff.))

Folgen einer neuronalen Gotteslehre

Die Folgen der hier dargestellten drei Zugänge des menschlichen Gehirns zu Gott für das Alltagsgeschäft Theologie in Theorie und Praxis sind weitreichend. Diese können im Moment nur angedeutet werden.

Neuronale Exegese

Natürlich finden sich alle drei Arte auch in der Bibel wieder. Hier gilt zu zeigen, ob hier ein neuer brauchbarer exegetischer Schlüssel vorliegt. Den die Bibel kann ja als das Buch verstanden werden, das die Geschichte erzählt, wie Gott menschen begegnet ist und wie sie ihn folglich mit ihren menschlichen Gehirnen erfassen konnten14.

Neuronale Trinitätslehre

Per se beziehen sich natürlich die drei Zugänge Begriff, Beziehung und Zustand auf die drei Personen Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist. Allerdings stellen sie im engeren Sinn noch keine Trinitätslehre dar. Die Trinitätslehre könne aber als ein begriffliches Konzept verstanden werden, diese drei unterschiedlichen Zustände zu vereinen.((Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, §10.))

Praktische Theologie

Die größten Auswirkungen dürfte es auf dem Gebiet der praktischen Theologie geben. Es wird ja allgemein beklagt, das Predigt und Unterricht, so wenig Auswirkung zeigen15 Verkündigung des Glaubens kann eben nicht an unserem Gehirn vorbei geschehen, sondern nur mit diesem und durch es hindurch.
Hier scheint der Hinweis, das die Wurzel des Glaubens die spirituelle Wahrnehmung des eigenen Körpers oder die positive Auswirkung religiöser Gemeinschaft ist, schon an vielen Stellen vor allem in der Religionspädagogik aufgenommen worden zu sein.((Vgl. meine Andeutungen in Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, S. VI.)) Er ist aber noch lange nicht in aller Konsequenz zu Ende gedacht worden.

Mehr zum Thema Gott

  1. Siehe Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, S. 1 ff []
  2. Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, S. 11 und S.25. []
  3. Vgl. Burkhardt,Neuronale Theologie, S. 49 []
  4. Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, S. 50ff []
  5. Vgl. die Sogen. narrative Basis, Burkhardt, Neuronale Theologie,2018, S.62 ff. []
  6. Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, S.65 und S. 75 []
  7. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, S. 57. []
  8. Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, S.72 []
  9. Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, den Ausblick in §23. []
  10. Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, S.73ff und S. 92. []
  11. Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, S. 78ff. []
  12. Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, S. 81, dort Lit. []
  13. Barth, Nachwort zur Schleiermacherauswahl hg. von H. Bolli, 1968, S. 311: "Alles, was von Gott dem Vater und Gott dem Sohn in Verständnis des 1. und 2. Artikels zu glauben, zu bedenken und zu sagen ist, wäre in seiner Grundlegend durch Gott den Heiligen Geist, das vinculum pacis inter Petegem et Filius, aufzuzeigen und zu beleuchten" Vgl. jetzt dazu Cornelis van der Kooi, Der Hl. Geist bei Schleiermacher und Barth, 2015 in: Karl Barth und Friedrich Schleiermacher: Zur Neubestimmung ihres Verhältnisses
    herausgegeben von Martin Leiner, Matthias Gockel. []
  14. Vgl. meine Andeutungen in Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, S.VII. []
  15. Ich lasse es mal hier bei dieser allgemeinen These. Richtig ist, dass es auch schon in der Bibel Phasen des Unglaubens und der Erfolglosigkeit der Verkündigung gibt, im At, aber auch bei Jesus selbst. []