Erlösung

Wissen wir bald soviel über unser Gehirn, dass wir über die Technologie verfügen, uns selbst nachhaltig zu verbessern? Es ist zu erwarten, dass die Neurowissenschaften hier der Psychologie und ihren Therapien großen Aufschub geben werden. Damit verlieren die Religionen, die den Menschen Erlösungen anbieten, weiter an Boden
Der Artikel deckt Zusammenhänge zwischen den Möglichkeiten der neuronalen Verbesserung (Neuro-Enhancement) und dem Erlösungsbegriff der Theologie auf.

Die folgenden Notizen sind Kommentare zu meinem Heft der Mensch und seine Erlösung.

Dieses Heft gehört zu meiner Reihe "Krisis des Denkens" in der ich eine Art Normaldogmatik entworfen habe
Die folgende Ausführungen sind eine erste Skizze die als Ergänzung zu dieser "Normaldogmatik" gedacht sind.
(vgl. Der Mensch und seine Erlösung S. 17)

Neuro Enhancement die neue Erlösungsreligion?

ein boomender Markt

Nun gibt es gegenwärtig einen Neuroboom und glaubt man den Versprechungen, dann gibt es immer mehr Möglichkeiten sein neuronales Mindset zu verbessern und korrigierend in die neuronalen Dysfunktionen einzugreifen. Dafür kann man dann gutes Geld zahlen. Der Markt für solche Angebote scheint derzeit zu florieren und es werden gerade was die digitale Vermarktung angeht ganz neue Geschäftsmodelle entwickelt. Spirituell sind solche Angebote oft mit dem Budhismus oder dem Schamanismus verbunden. Immer wieder spielt auch das Glaubensthema eine Rolle. Z.b in der Formulierung und Korrektur von Glaubenssätzen oder in der Stärkung des Glaubens an sich selbst. Die Kirchen müssen hier acht geben, dass sie hier nicht weiter an Boden verlieren, wenn sie ihn nicht schon verloren haben.

Kriterien für seriöse Angebote

Nimmt man die Angebot kritisch und wissenschaftlich fundiert unter die Lupe so sind seriöse Angebote weit von einer schnellen Selbsterlösungsreligion entfernt.

Neuronale Veränderung braucht Zeit und Energie

Schnell geht es nicht. Neuronale Veränderungen brauchen Zeit und regelmäßige Übung, z.B. die Einübung in eine Meditationspraxis.
Man spricht von mindestens 30 Tagen und bis zu 100 Wiederholungen bis sich neue neuronale Muster einigermaßen gefestigt haben.
Wochenendseminar können zwar Impulse geben, doch werden die neuen Muster danach im Alltag schnell durch die alten eingefahrenen Muster überwuchert.
Und es kommt immer auf das eigene Üben an. Das Medikament oder den Wunderheiler der quasi von außen ohne eigenes Zutun neuronale Strukturen ändert gibt es so nicht. Eine Ausnahme ist vielleicht hier noch die seriöse Anwendung hypnotischer Verfahren.

Viele neuronale Muster sind nicht einfach zugänglich

Auch wenn wir oberflächlich manche Muster ändern wollen, hängen diese oft mit tieferliegenden Strukturen zusammmen. Und diese sind meist unbewusst und angstbesetzt. Unser neuronales System wehrt sich gegen den Zugriff auf dieser Strukturen durch Angst- und Stressreaktionen. In der klassischen Psychotherapie wird dies als Widerstand bezeichnet.

Man ist auf die Hilfe anderer angewiesen

Deswegen ist man auf die Hilfe anderer angewiesen. Man braucht ein unmittelbares Feedback. Ein reiner online-Kurs mit automatisierten Antworten hilft noch nicht viel.
Am besten sind Gruppenerfahrungen unter kompetenter Anleitung.

Wie soll sich die Kirche in diesem Markt positionieren?

Es wäre eine Fehlentscheidung dies alles als fehlgeleitenden Selbsterlösungsversuch abzutun. Denn dieser Markt bietet von den schwarzen Schafen abgesehen durchaus kompetente Hilfe an. Und die Menschen gehen dorthin, wo sie Hilfe bekommen. Die Kirche bleibt hier noch viele Antworten schuldig.
Die Kirche muss vielmehr zeigen, dass sie auch für alltägliche Probleme Antworten bereit hält. Grundsätzlich kann sie auch nur mit den selben neuronalen Mechanismen wie andere Anbieter arbeiten.
Aber und das wäre meine Hoffnung, sie könnte zeigen, dass ihre Angebote stärker, umfassender und energiereicher sind als die der Mitbewerber. Sie bietet eben nicht nur Hilfe zur Veränderung an wie alle anderen auch, sondern umfassende Erlösung (siehe dazu den übernächsten Abschnitt) In einem Markt der unendlichen Möglichkeiten (ähnlich der Situation im römischen Reiche), muss die Kirche eine Alternative anbieten und damit die Menschen vor eine echte Wahl (Krisis) stellen.

Die neuronalen Mechanismen für Veränderung

Man kann die neuronalen Mechanismen für Veränderung in aller Kürze wie folgt zusammenfassen: Die weiterführenden Blogartikel werden zeigen, das die biblische Botschaft hier sehr gut positioniert ist. Diese müssen nicht unbedingt immer gleich große Auswirkungen haben. Aber sie bahnen Veränderung an. Und ich bin mir sicher, dass wirkliche Erlösungserfahrungen, also die Erfahrung einer umfassenden und tiefen Veränderung ohne diese Mechanismen nicht möglich sind.

Neues anbieten

Ohne das etwas passiert, was von unserem Gehirn als neu, beachtenswert oder paradox registriert wird, können Veränderungsprozess nicht initiiert werden. Denn ohne diese Starter passiert gar nichts. Allerdings darf dieses Neue nichts Angst bewirken, sondern muss das Interesse wecken. Anderfalls werden von Anfang an Wiederstände hervorgerufen.

Stress und Angst runter

Neuronale Lernprozesse benötigen einen stress- und angstfreien Raum.
Sie dürfen nicht kontrolliert, sondern müssen gesteuert werden.
Humor und eine lockere Athmospähre sind hilfreich (Infotainment).
Angst und Stress wird auch reduziert durch die Aktivierung der beiden nächsten Mechanismen

Beziehung intensivieren

Beziehung ist der Schlüssel zur Veränderung. Ohne den "Kontakt" ist es unmöglich Veränderungen zu initieren.

Positive Anreize setzen

Veränderungen brauchen Motivation. Es muss einen Sinn machen sich auf diese Veränderung einzulassen.

Auf Wiederholung setzen

Neuronale Prozesse brauchen Zeit und Wiederholung. Die neuen Strukturen müssen sich neuronal konsolidieren.

Auf die Veränderung vertrauen

Dies bezeichne ich als den Glaubensmechanismus. Wenn ich versuche die Veränderung zu konrollieren, dann komme ich in einen Kontrollmodus, der das bisher Erreichte zerstört - Beispiel, wenn ich Fahrradfahren gelernt habe und dann daran zweifle und das Gleichgewicht versuche bewusst zu steuern, komme ich ins Wanken.

Der spirituelle Sinn von Erlösung

Was unterscheidet nun eine neuronale Veränderung von dem umfassenderen Begriff der Erlösung

Der Lösungsbegriff ist universell und virtuell

Empirisch gesehen kann es keine Erlösung geben, sondern nur eine Verbesserung der Verhältnisse. Dies bedeutet eine positive Veränderung bei den dysfunktionalen Strukturen, die ich als neuronale Sünden bezeichnet haben..
Erlösung heißt eine umfassende auch über den Tod hinaus gehende Umkehr der Verhältnisse. Sie ist empirisch nicht nachweisbar, sondern nur virtuell.

Der Erlösungsbegriff begrenzt die Möglichkeiten der menschlichen Selbstveränderung

Der Erlösungsbegriff hat deshalb eine kritische Funktion. Er besagt, dass alle (neuronalen) Veränderungen nicht umfassend, nur von zeitlicher Dauer und manchmal auch zum Scheitern verurteilt sind.
Darin wird deutlich: Erlösung sieht Veränderung nochmals von einer höheren Warte: Denn Veränderung ist nicht einfach so machbar. Sie setzt gerade auch ein Nicht-Tun, ein Loslassen der Kontrolle voraus. Und dies ist der spirituelle Sinn des Erlösungsgedankens. Nur wenn man etwas loslässt, kann auch was er-löst werden
Der Erlösungsbegriff vertieft deshalb noch den oben beschriebenen Glaubensmechanismus der Veränderungen.

Erlösung ist aber niemals von der Erfahrung losgelöst

Anderseits ist ein Erlösungsbegriff, der nicht auch erfahrbar zu Veränderungen führt, belanglos. Deshalb muss in der Kirche auch Veränderung erfahrbar sein und die Kirche muss sich als Expertin für Veränderung positionieren. Leider ist oft das Gegenteil der Fall und die Kirche wird eher als Beispiel für veraltete, nicht veränderbare Strukturen herangezogen.
Und das ist genau das Problem: die Menschen erwarten von der Kirche keine Veränderungen mehr und gehen lieber zum Psychiater oder coach.