Predigt

Die zentrale Frage: Wie entsteht Glaube?

Eine Predigtlehre muss eine Frage beantworten können: Wie entsteht Glaube?
Dazu muss zunächst einmal geklärt werden, was Glaube neurologisch ist? Und wie und das ist das Thema des Essays, unser GehirnGott erfasst?((Vgl. Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018)).
Daraus ergeben sich dann Schlussfolgerungen für eine Methode.
Sie muss letztlich die drei neurologischen Zugänge Begriff, Beziehung und Zustand umfassen.

Gottesdienst als der Kontext der Predigt

Was hier gesagt werden kann, gilt selbstverständlich auch für andere Formen der Verkündigung, wie den Unterricht oder das seelsorgerische Gespräch. Was die Predigt hiervon unterscheidet ist der Kontext in dem sie stattfindet, normalerweise der Sonntagsgottesdienst.
Zu diesem Kontext gehören zahlreiche Faktoren: wie Kircheraum, Gottesdienstbesucher, Tages- und Hochzeit, das Kirchenjahr, die musikalische Ausgestaltung, die Lesung, der liturgische Ablauf des Gottesdienstes und vieles mehr.

Predigt im Netzwerkmodell

Predigt und Gottesdienst als semantische Netzwerke

Die Predigt ist an sich als Text ein semantisches Netzwerk, das analysiert werden kann. Ebenso gilt aber auch, dass die Predigt im Gottesdienst, der ebenfalls ein Netzwerk darstellt, nur ein Teilnetzwerk ist.

Prediger und Hörer als Beziehungsnetzwerk

Gleichzeitig gilt aber auch, dass Prediger und Hörer ein Beziehungsnetzwerk bilden. Dies besteht natürlich auch außerhalb des Gottesdienst. Z.B. kann der Pfarrer der Nachbar einer seiner Hörer sein. Aber durch Gottesdienst und Predigt verändert sich dieses Beziehungsnetzwerk noch einmal.
Sichtbarer Ausdruck davon ist, dass der Pfarrer den Talar anzieht und damit eine besondere Rolle übernimmt.

Ziele der Predigt

Wenn Predigt Glaubewecken soll, dann muss sie dies auf vierfachem Wege tun.

Predigt muss über den Glauben informieren

Die Predigt muss zunächst einmal über den Glauben informieren.Technisch gesehen muss sie das semantische Netzwerk des Hörers erweitern. Dies erscheint noch zunächst die einfachste Aufgabe, ist es aber nicht.
Es gilt neue Begriffe zu erschließen und zu bereits vorhandenen Begriffen neue Beziehungen aufzubauen.
Es gilt die narrative Basis zu erweitern, also ein Wissen über Jesus, die Bibel usw. aufzubauen, ohne die die nächsten Schritte nicht möglich sind.
Unglücklicherweise hat das religiöse Wissen abgenommen, so muss immer mehr Grundlagenarbeit geleistet werden.
Glücklicherweise kann jeder Mensch religiöses Wissen erlernen. Dafür spricht die Erkenntnis der Neuroplasitziät.

Predigt muss die Beziehung zu Gott stärken

Neurologische Grundlagen für eine Beziehung

Das bereits viel schwieriger Anliegen ist, wie kann ich jemand dazu bringen, seine Beziehung zu Gott zu verstärken oder neue eine Beziehung zu ihm aufzubauen? Beziehung ist neurologisch gesehen ein viel komplizierter Vorgang als reines Faktenwissen.
Natürlich ist dafür das Wissen und die Information über Gott wichtig und darin enthalten eine narrative Basis, die mir hilft eine Beziehung zu Gott virtuell aufzubauen. So entsteht eine Repräsentation dieser Person in meinem Beziehungsnetzwerk. Allerdings lebt diese Repräsentation davon, dass ich immer wieder reale Erfahrungen mit dieser Person machen.(( Allerdings gibt es auch außerhalb der Religion virtuelle Beziehungen. Z.B. Kinder bauen eine Beziehung zu ihrem Vater auf, den sie nie gesehen haben))

Symbolische Handlungen erschließen den persönlichen Zugang zu Gott

Deswegen fällt es den meisten Menschen schwer eine Beziehung zu einer Person aufzubauen, die man nicht empirisch erfahren kann.
Eine Beziehung zu Gott kann wenn überhaupt nur über symbolische, rituelle Handlungen stattfinden.
Ich kann meinem Kind über den Kopf streichen, um ihn meine Liebe zu zeigen.
Ein so direkter Kontakt ist mit Gott nicht möglich. Symbolische Handlungen sind z.B. die Sakramente oder wenn ich die Bibel nicht als ein Buch zur Informationsgewinnung über Gott, sondern als sein persönliches Wort an mich lese.
Die Predigt muss deshalb im Kontext des Gottesdienstes zu diesen symbolischen Handlungen hinführen und sie einweisen.
Diese kann man z.B. sehr gut an der Taufansprache sehen. Sie hat die Aufgabe auf die symbolische Handlung [[theologie:taufe|Taufe]] hinzuführen.

Unverfügbarkeit von Beziehungen

Letztlich bleibt es aber im dem Hörer immer selber überlassen, ob er in eine persönliche Beziehung eintritt oder nicht. Deswegen kann die Predigt nur Angebote liefern.

Predigt muss den inneren Zustand verändern

Predigt muss für die Wahrnehmung der inneren Zustände sensibilisieren

Predigt muss zunächst einmal für die Wahrnehmung der inneren Zustände sensibilisieren. Nur so kann auch eine mögliche Veränderungen erfolgen.

Zustandsänderung ist mehr als Informationszuwachs

Natürlich werden wie auch schon bei der Informationsgewinnung neue neuronale Strukturen erstellt, aber eine neue Information ist noch keine Zustandsänderung. Erst die Aufnahme vieler Informationen und das Einüben bestimmter Aktivierungen kann auf Dauer zu einer Zustandsänderung führen.
Hier kämpft die Predigt gegen die Flüchtigkeit der modernen Infomrmationsgesellschaft. Der seltene Gottesdienstbesuch kann neurologisch gesehen gar nicht zu einer dauerhaften Veränderung führen. Alles andere wäre ein Wunder.
Auch die wiederholte Teilnahme ohne innere Teilnahme an einem Ritual, wie etwa dem Abendmahl muss noch nicht zwangsläufig zu einer Zustandsänderung führen.
Predigt muss also dauerhaft und permanent auf eine Zustandsänderung hinarbeiten.

Veränderung in kurzer Zeit als homiletischen Grundproblem

Die Frage ist aber, wie kann sie das, wo ihr doch empirisch gesehen nur wenig Zeit bleibt, um auf den Hörer nachhaltig einzuwirken. Sie muss deshalb im höchsten Grade effektiv sein. Dies kann als das homiletische Grundproblem verstanden werden.

Isomorphie als Katalysator

Eine mögliche Veränderung kann nur durch Isomorphie gelöst werden. Der neurologische Zustand des Predigers als auch der Gemeinschaft sind entscheidend für die Zustandsveränderung eines einzelnen Hörers.((Vgl. Schlussbemerkung in Burkhardt, Neuronale Theologie, 2018, S. 91 f.)).

Predigt muss die Gemeinschaft aufbauen

Vieles, was bereits über die individuellen Zustände gesagt worden ist, gilt auch für die sozialen1.
Predigt soll für die Wahrnehmung sozialer Zustände sensibilisieren.
Predigt soll Gemeinde bauen, also den sozialen Zustand einer Gruppe von Menschen verändern. Aber auch hier stellt sich das Zeitproblem. Wie soll ein 15-20 minütige Monologe Ansprache, Menschen einander näher bringen, die sonst im Leben nicht viel gemeinsam haben. Hier soll doch ein Netz entstehen, dass auf gegenseitiger, zweidimensionaler Kommunikation beruht.
Allein kann das die Predigt nicht leisten, höchsten im Rahmen des Gottesdienstes, der etwa durch gemeinsames Singen und Beten einen gemeinsamen sozialen Rahmen schafft.
Auch hier gilt Isomorphie als entscheidender Katalysator. Der Zustand des Predigers überträgt sich auf die Gemeinde.

Mehr zum Thema Predigt und Gottesdienst:

Der Gottesdienst

  1. Vgl. zur Analogiefrage, Burkhardt, Neuronale Theologie,2018, S. 85 und S. 89. []