Leben

Was ist Leben?


Neurologisch ist Leben das Bild, das wir uns von unserem Leben machen. Man müsste Leben also besser unsere „Lebenswelt“ nennen. Diese Lebenswelt besteht aus mehreren neurologischen Landkarten, die unsere innere und äußere Lebenswelt darstellen.
Neurologisch können wir dazu nur sagen, was Leben ist, können wir an sich nicht erkennen. Wir habe nur unser Bild davon, was Leben ist. Da jeder Mesch aber ein unterschiedliches Bild vom Leben an sich und seinem Leben im Besonderen hat, ist Leben immer individuell.
Wir haben in unserm Gehirn also eine individuelle Repräsentation, von dem was Leben ist.
Weil unser Gehirn sich ständig verändert , verändert sich unser Bild vom Leben ebenso von unserer Geburt bis zu unserem Tod.
Was Leben ist, muss deshalb von jedem einzelnen immer wieder neu gefasst werden. Untereinander müssen wir unsere individuelle Vorstellung vom Leben aufeinander abstimmen und in unseren sozialen Beziehungen zu einem gemeinsamen tragfähigen Bild von Leben kommen.
Es kann deshalb auch nie eine abschließende Beschreibung des Lebens geben, die für jeden und allezeit ihre Gültigkeit hat.
Jeder kann nur sein eigenes Leben leben und ist auch für sein Leben verantwortlich.

Leben als Netzwerk

Weil unser Gehirn ein Netzwerk ist, können wir auch das Leben nur als Netzwerk verstehen.

  • Das Netzwerk unser sozialen Beziehungen
  • Das Netzwerk der Natur
  • Das Netzwerk unserer Assoziationen
    Überall stoßen wir auf den Netzwerkgedanken.
    In der klassischen Philosophie wurde das Wissen als hierarchischer Wissensbaum strukturiert. So etwa in den ersten Werken der französischen Enzyklopädisten. Neuere Erkenntnisse gehen jedoch von einem Netzwerk aus. So stellen etwa Gilles Deleuze und Felix Guattari das Wissen als Rhizom dar. Rhizom ist ein aus der Botanik entlehnter Begriff. Rhizomartige Pflanzen haben keine Wurzelmerkmale, sondern bilden unterirdisch horizontal wachsende Sprossachsen aus, die bei vielen krautartigen Pflanzen vorkommen. (z.B. Buschwindröschen, Schachtelhalm).
    Damit wird der Gedanke einer vertikalen Strukturierung in Wurzeln, Stamm und Äste, wie sie für das Baummodell typisch, ist fallen gelassen. Rhizome können horizontal Verbindungen haben.
    Grundsätzlich sind Netze sehr stabil. Wenn ein Teil des Netzes ausfällt, muss damit noch nicht das ganze Netz sterben. Andere Teile des Netzes können Aufgaben der ausgefallen Teile übernehmen. Eine rhizomartige Pflanze kann weiterwachsen, wenn Teile ihrer Struktur zerstört sind. Im Gehirn nennt man diese Neuroplastizät. Auch soziale Systeme sind stabil, weil durch Subsidarität Teile der Gesellschaft sich gegenseitig unterstützen. Diese scheinbare Stabilität darf jedoch nicht über die tatsächliche Sensitivität von Netzwerken gegenüber Umwelteinflüssen hinwegtäuschen. Ohne Licht geht auch eine rhizomartige Pflanze ein. Ohne Sauerstoffzufuhr stirbt auch unser Gehirn. Ohne sozialen Frieden zerfällt auch eine Gesellschaft.
    Besteht nun das Netzwerk nur aus den sichtbaren Knoten und Verbindungen? Oder ist in diesem Netzwerk auch eine zunächst für uns unsichtbare Information gespeichert, die wir auslesen können?
    Dies ist eine der wichtigsten und vielleicht ältesten philosophischen Fragen der Welt. Dazu einige Beispiele:
    Würde man unser Gehirn sezieren, dann könnte man zwar die äußere Struktur des Neuronennetzwerkes sehen, man könnten aber noch nicht die Information ablesen, die in diesem Gehirn gespeichert ist.
    Auch das Netzwerk der Natur gibt als solches noch nicht seine Informationen frei. Wir meinen darin z.b. Eine Klassenhierarchie der verschiedenen Arten zu erkennen. Aber ist diese Art von Information tatsächlich im Lebensnetz der Natur vorhanden, so dass unser Gehirn diese Information aus ihr herauslesen kann oder ließt unser Gehirn diese Struktur in das Netzwerk hinein?
    Sind die Informationen im Netzwerk gespeichert, werde sie quasi vom Netzwerk selbst hervorgebracht, dann ist das ein naturalistischer Standpunkt. So geht z.B. Der Neurobiologe Hüther in seinem Buch "Die Macht der inneren Bilder" davon aus, das das Leben selbst eine Bilder hervorbringender Prozess ist. Auf unterster Ebene geschieht dies, in dem Zellen ihr Erbgut, also quasi ein chemisches Abbild ihrer selbst in der DNS kodifizieren um sich fortpflanzen zu können. Auf der Ebene des Gehirns werden individuelle Einzelerfahrungen festgehalten. Auf der Ebene sozialer Strukturen sind es kollektiv akzeptierte und transgenerational kommunizierte Regeln, Vorstellungen und Rituale. Lebendige Organismen brauchen ihr „Bild vom Leben“ um auf sich verändernde Umweltbedingungen reagieren zu können. „Ohne Rückgriff auf solche Bilder ist kein Leben möglich. Deshalb stirbt auch alles, was lebendig ist, sobald es keine inneren Bilder mehr erzeugen kann“ Unser Bild vom Leben von dem wir eingangs gesprochen haben, wäre dann die Voraussetzung für unser Überleben.
    Lesen wir aber die Informationen in das Netzwerk des Lebens hinein, so ist das ein idealistischer Standpunkt. Auch dafür gibt es neurologische Anhaltspunkte. Viele Wahrnehmungsprozesse verlaufen nicht von unten nach oben (bottom up), sondern von unten nach oben (top down). Sehen bedeutet also nicht, dass unser Gehirn aus vielen empirischen Wahrnehmungen ein inneres Bild Zusammensetzung, sonder Sehen bedeutet, die Muster wahrzunehmen, die in unserem Gehirn bereits vorhanden sind und die durch eine äußere Wahrnehmung aktiviert werden. Sind keine entsprechenden Muster vorhanden, kommt es zu optischen Täuschungen.
    Ein kurzer Exkurs zu der Frage: Woher aber kommen die im Gehirn bereits vorhandenen Muster, die wir in die Wirklichkeit hineinsehen? Ein echter Idealist würde sagen, dass diese Muster als Ideen ganz unabhängig vom empirischen Leben existieren. Sie sind so würde etwas der Philosoph Platon sagen Teil einer unabhängig von der Materie existierenden Ideenwelt. Und ein christlicher Idealist würde sagen, dass Gott uns die Fähigkeiten gegeben hat, dass Gute und das Schöne, das Gott selbst in diese Welt hineingelegt hat zu erkennen.
    Die Frage ist aber, ob man naturwissenschaftlich diese Konstruktion einer unabhängigen Ideenwelt zur Erklärung noch braucht. Eine Neurologe würde sagen, dass Gehirn hat diese Muster im Laufe seines Lebens erlernt und trainiert. So kann man z.B. Sein Gehör darauf hin trainieren unterschiedliche Vogelstimmen wahrzunehmen. Wo ein normaler Mensch nur ein „Singsang“ wahrnimmt, kann ein geübter Vogelliebhaber unterschiedliche Vogelstimmen unterscheiden, weil er sein Gehirn darauf trainiert hat mehr und unterschiedliche Stimmmuster zu erkennen. Deswegen hört er mehr, weil ihm sein Gehirn beim aktuellen Hören mehr Vergleichsmuster zur Verfügung stellt (top-down) Prozess. Damit dies Muster aber im Gehirn zur Verfügung stehen, ist ein langwieriger neuronaler Lernprozess vorausgegangen, bei dem durch aktives Hören neue Muster entstanden sind (bottom -up).
    Natürlich lassen sich nicht alle Dinge so einfach erlernen, wie das unterscheiden von Vogelstimmen. Viele Bilder, die wir haben, sind Teil eines äußerst komplexen Prozesses, bei dem individuelle und soziale Erfahrungen ineinanderfließen. So stützt sich unser Vogelfreund z.B. Auf ein Vogelkundebuch oder eine Vogelkundeapp, das ihn bei seinen Lernbemühungen unterstützt. Er baut also auf Erfahrungen andere auf und auf bereits vorhandene Sprachmuster, die den Vogelarten ihren Namen zuweisen. Damit ist Wirklichkeitserfassung niemals nur individuelle Leistung, sondern immer auch eine soziale Leistung.

Die Offenheit des Lebens

Damit müssen wir ernüchternd feststellen, dass wir nur eine begrenzte Anzahl von Mustern haben, um uns ein Bild des Lebens zu machen. Wir können zwar durch Lernprozesse, die Zahl der Muster erhöhen, um unser Bild zu verfeinern. Aber das ist individuell wie auch sozial ein langfristiger Prozess. Und wir wissen nicht, ob die Zahl unserer neuronalen Muster jemals ausreichen wird, um alle Information aus dem Netzwerk des Lebens adäquat zu erfassen.
Damit bleibt das Leben für uns ein offenes Netzwerk. Es hat wie unser Gehirn ein fast unendliche Zahl von Knoten und eine noch größere Zahl von Verknüpfungen.
In diesem schier unendlichen Netzwerk gehen wir oft verloren. Wir verlieren die Orientierung. Können Teile erkennen, aber das Ganze nicht, weil uns die für unser Gehirn so wichtige, vertikale Strukturierung fehlt. In einem Netzwerk gehen wir deshalb verloren (Lost in Space Syndrom).
Es sind zu viele Informationen. Zu viele Ereignisse, zu viele Menschen, zu viele Gefühle. Es kommt deshalb zu einer Überforderung.

Teilstrukturierungen

So bleibt uns im Moment nur übrig, uns mit den vorhandenen Muster einen schnellen Eindruck zu verschaffen, um uns in dieser Welt zu orientieren. Dabei werden oft viele Einzelheiten weggelassen. Unsere Wahrnehmung ist also selektiv.
Aus dem unendlichen Netz des Lebens werden Teilnetze herausgelöst, die wir beherrschen und überblicken können.
Das geschieht dort, wo wir lokal ein hierarchisch strukturiertes Feld im unendlichen Netz entdecken. Dieses Feld gibt uns Sicherheit und Geborgenheit und Orientierung.
Teile unseres Lebens werden also hierarchisch strukturiert.
Man könnte das in einem Bild so beschreiben: Das Leben ist wie ein vollkommener Kreis, ohne Anfang und Ende. Unser Verstand kann diesen Kreis aber nicht erfassen. Er kann nur einzelne Punkte auf der Kreislinie erkennen, die jeweils für einen Teilaspekt der Wirklichkeit stehen. Egal wieviel Punkte wir auch einzeichnen, unser Vieleck bleibt ein Vieleck und ist noch kein Kreis. Erst bei Unendliche vielen Punkten nährt sich das Vieleck dem Kreis an.
M. E. klärt dies auch die philosophische Differenz zwischen Idealisten und Naturalisten. Man kann das Problem nur durch die Unterscheidung zwischen empirischen und virtuellen Begriffen lösen.
Empirische Begriffe haben einen hohen Anhalt an der Wirklichkeit, d.h sie bilden eine hierarchische Struktur ab, die es so auch in der Wirklichkeit gibt.
Virtuelle Begriffe sind Konstrukte, die die Wirklichkeit sinnvoll strukturieren und erklären. Den virtuellen Begriff findet man als solchen jedoch nicht in der Wirklichkeit, weil er sich aus vielen einzelnen empirischen Wirklichkeiten zusammensetzt. Beispiele sind: Gesellschaft, Geschichte usw.
Und hier kommt nun der Glaube ins Spiel. Eben weil wir das Leben nur durch Teilstrukturierungen verstehen können, müssen wir davon ausgehen, dass diese Teilstrukturierungen so gut sind, dass sie uns das Leben ermöglichen.
So ist jede Teilstrukturierung ein Glaubensschritt, weil er die Annahme enthält, dass wir das Leben als Ganzes verstehen auch wenn wir nur einen Teil von ihm strukturell erfasst haben.
So bringt das Leben den Glauben hervor. In dem es gerade in Fragen und Phasen der Ungewissheit zu solchen Teilstrukturierungen greift.

Dies trifft, wie wir noch sehen werden, auf alle virtuellen Begriffe zu, wie die Frage nach dem Ich, die Frage nach dem Wir und auch für die Frage nach Gott.
Ganz besonders deutlich wird dies aber auch in Phasen, wo wir unser Leben neu strukturieren müssen. Das passiert vor allem in Phasen des Übergangs: Bei Geburt eines Kindes, beim Eintritt in das Erwachsenenleben, beim Eingehen einer Lebenspartnerschaft, beim Verlust eines geliebten Menschen. Hier müssen wir ganz besonders folgenreiche neue Teilstrukturierungen unseres Lebens vornehmen und wir brauchen hier ganz besonders viel Glaube, weil diese Übergänge immer einen Sprung ins kalte Wasser darstellen.

Der Irrtum

Der Irrtum besteht nun darin, ein solches im Glauben erschlossene teilstrukturierte Feld, schon für ein endgültiges Wissen über das Leben zu halten.
Man reduziert die Komplexität des Lebens dabei auf ein vereinfachte Struktur und hält sie für die wahre und einzige Realität.
Weil man also einen Teilaspekt des Lebens hierarchisch organisieren kann, glaubt man, dass auch das ganze Leben hierarchisch strukturiert ist und von uns überschaut und gemeistert werden kann. Man schließt also von einem Teil auf das Ganze.
Dabei verwechselt man Glaube mit Wissen. Wir können nur glauben, dass die von uns erschlossene Teilstrukturierung uns für unser Leben Orientierung und Sicherheit gibt, aber mit Sicherheit wissen können wir es nicht.
Verschärft wird die Situation noch dadurch, dass jede Strukturierung nur möglich ist, indem man einen Teil der Wirklichkeit ausblendet.
Dies ist tief in unseren neurologischen Prozessen verankert. Beim der Entwicklung unseres Gehirns werden immer wieder Verbindungen gekappt, die nicht mehr benötigt werden. Nur so bleibt unser Gehirn leistungsfähig. Um Neues zu lernen, müssen wir Altes vergessen. Die Vielzahl der Wahrnehmungen wird ständig unbewusst gefiltert, so dass wir nur das bewusst wahrnehmen, was unser Unterbewusstsein für notwendig hält. Wir verdrängen das, was uns unangenehm ist.
Unser Unterbewusstsein konstruiert uns also eine Lebenswelt, die aber immer nur ein Teilaspekt der Wirklichkeit darstellt. Wenn wir diese konstruierte Lebenswelt für die tatsächliche Lebenswelt halten, leben wir in einer Scheinwelt. Diese ist durchaus in sich schlüssig und kongruent und ermöglicht sogar eine soziale Verständigung.
Einen Irrtum dieser Art beschreibt Platon in seinem Höhlengleichnis. Menschen leben in einer Höhle und in sind an ihrem Platz gefesselt. Sie sehen an der Höhlenwand nur die Umrisse, der Gegenstände die hinter ihrem Rücken Schatten werfen. Die platonischen Höhlenmenschen sehen also nur ein Teil der Wirklichkeit. Da sie aber noch nie etwas anders gesehen haben (sie sind ja gefesselt und können den Kopf nicht zum Höhlen Eingang drehen), halten sie ihre Wahrnehmung für die einzig wahre und richtige Wirklichkeit.
Würde man den platonischen Höhlenmenschen von seinen Fesseln erlösen und ihn hinaus ans Sonnenlicht führen, wäre er zuerst geblendet vom Licht und von der Vielfalt der Formen und Farben des wirklichen Lebens.
Es ist deshalb nicht leicht, sich von diesem Irrtum zu befreien und es ist mit Widerstand bei uns und anderen zu rechnen.
Wir stoßen hier auf die Probleme die sich bei einem Paradigmenwechsel ergeben. Es ist ungeheuer schwer ein gesellschaftlich geprägtes Muster zu verändern, da dazu erst einmal alle, die dieses Muster jahrelang geprägt haben, sich eingestehen müssten, dass sie im Irrtum waren. Deswegen werden die, die sich für einen Wechsel einsetzen zunächst an den Rand gedrängt. Oft dauert es eine ganze Generation bis sich eine Veränderung durchsetzen kann. Die Durchsetzung solcher Veränderungsprozesse bedarf deshalb besonderer Strategien, die in der Literatur als Change- Management bezeichnet werden.

Der Preis der Freiheit

Damit ist überhaupt zu Entwicklung und Fortschritt kommt, braucht es immer wieder die Einzelgänger und Grenzgänger, die sich nicht mit den überkommenen Teilstrukturierungen der Wirklichkeit zu frieden geben, sondern diese hinterfragen und zu neuen Ufern aufbrauchen.
Das sind oft einsame Menschen, die mehr sehen als andere Menschen. Sie sehen eben nicht nur die Teile (von denen die Mehrheit glaubt, dass sie schon das Ganze sind), sondern mehr als die Teile. Sie haben ein größeres Bild vom Ganzen. Sie sehen nicht nur die teilstrukturierte Wirklichkeit, sondern erahnen das Ganze.
Dies führt sie oft an die Grenzen des Wahnsinns und der Einsamkeit.

Das Annehmen des Lebens

Wir müssen das Leben, das uns gegeben ist, in seiner ganzen Vielfalt annehmen.
Hier stehen wir jedoch vor einer Schwierigkeit:
Welches Leben können wir annehmen? Das Leben, so wie wir es uns durch unsere Teilstrukturierung eingerichtet haben und das wir für das Leben halten oder eben auch den Teil des Lebens, den wir ausgeblendet und verdrängt haben, der uns aber doch durch unser Unterbewusstsein bestimmt?
Die Annahme des Lebens kann deshalb nur erfolgen, wenn wir den Weg des Irrtums verlassen und erkennen, dass alle unsere Teilstrukturierungen unseres Lebens nur Hilfskonstruktionen sind. Wir müssen die Augen öffnen für die Teile der Wirklichkeit, die wir verdrängt und ausgeschlossen haben.
Das was wir am meisten Verdrängen ist dabei die Tatsache, dass unser Leben begrenzt ist, dass es ein Ende hat, dass wir sterben müssen.
Die große, vielleicht sogar die einzige Chance, die wir haben ist unser Unterbewusstsein. Denn hier liegen die verschütteten Erkenntnisse, die uns den Weg zur ganzen Vielfalt des Lebens weisen können.
Dazu gibt es mehrere Wege. In einer begleiteten Therapie kann man lernen, sich mit seinem Unterbewusstsein auseinander zu setzen. Meditation kann uns helfen, inne zu halten, und Unbewusstes nach oben steigen zu lassen. Die Auswertung neurologischer Erkenntnisse kann uns helfen, unser Leben besser zu verstehen.

Symbole strukturieren das Leben

Die Frage ist nun, wie diese Teilstrukturierung vor sich geht?
Neurologisch geschieht dies durch Begriffe. Ein Begriff fasst mehrere empirische Erscheinungen zusammen und gibt ihm einen symbolischen Marker, wie ein Wort oder ein Bild. Ein Begriff stellt also eine Teilstrukturierung der Wirklichkeit da, in dem er mehrere Erscheinungen unter einem einzigen Knoten subsumiert, eine hierarchische Struktur.
Begriffe können das unendliche Netzwerk strukturieren. Sie bündeln und führen viele Verästelungen zusammen und macht das Netz so überschaubar.
Allerdings findet die Teilstrukturierung nicht nur auf der Bewusstseinsebne statt. Dann wäre sie ein rein kognitiver Vorgang.
Lassen sie mich das an einem Beispiel erklären. Der Buchstabe „V“ ist ein Zeichen. Er löst zwar auch Assoziationen aus, in dem uns z.B. verschiede Wörter einfallen, die mit „V“ beginnen, aber normalerweise verbinden wir mit „V“ keine besonderen Gefühle oder Erlebnisse, es sei denn denn das „V“ erinnert uns an jemand dessen Name mit „V“ anfängt.
Das Wort „Vater“ dagegen ist ein Begriff, den wir mit sehr vielen Emotionen und Erfahrungen verbinden und bei dem uns auch das Bild unseres Vaters vor Augen schwebt. Mit dem Begriff „Vater“ werden deshalb sehr viele neuronale Verbindungen aktiviert. Gefühle und Erinnerungen werden wachen. Viele sind uns bewusst, manche andere aber unbewusst. Unser Vater, bzw. Die Vorstellung von ihm hat unser Leben tief geprägt und gesteuert.
Teilstrukturierungen sind deswegen nicht nur von theoretischem Interesse. Sie gestalten und Formen unser Bild vom Leben und damit auch das Leben selbst. Sie sind ein wesentlicher Teil der Selbststeuerung unseres individuellen, aber auch unseres sozialen Lebens.
Hüther spricht von der „Macht der inneren Bilder“. Sie bestimmen das Sein. Sie lenken das Werden. Sie bestimmen das Denken, Fühlen und Handeln und vieles mehr. Unser ganze innere Informationsfluss ist auf „Bildern“ aufgebaut.
Deswegen ist es sinnvoller, statt von Begriffen, eher von Symbolen zu sprechen.
Dabei muss man sich immer darüber im Klaren sein, dass die Symbole selbst noch nicht das Leben selbst sind, aber sie ermöglichen es uns, über die größere Wirklichkeit, die hinter den Symbolen steckt, zu reden.

Gottesgedanke

Auch der Gottesgedanke ist letztlich ein Symbol, der im Netz eine sehr große Zahl von Verknüpfungen zusammenfassen kann.
Auf diese Weise kann der Gottesgedanke die Teilbereiche unseres Lebens, die für uns oft keinen Sinn ergeben zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfassen.
Würde man unseren menschlichen Gottesgedanken, der ja nur eine Teilstrukturierung der Wirklichkeit darstellen mit dem gesamten Netz gleichsetzen, würde man nur einen Abgott erschaffen. Nur wenn wir daran festhalten, dass das Symbol für eine größere Wirklichkeit steht als das Symbol selbst darzustellen vermag, bleibt der Inhalt des Gottesgedanken gewahrt.
Dies ist der Kern des Bilderverbotes im Alten Testament.
Ex. 20:4 Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist.
Ein Bild oder ein Begriff von Gott ist immer nur eine menschliches Konstrukt. Es hilft uns zwar unsere Wirklichkeit sinnvoll zu strukturieren, aber unser menschliches Gotteskonstrukt darf niemals mit der Wirklichkeit Gottes selbst verwechselt werden.

Selbstbewusstsein

Eines dieser Symbole, die uns unsere Welt erklären ist unser Selbstbewusstsein. In ihm fassen wir all uns betreffende empirischen Erfahrungen zusammen.
Jeder Mensch braucht ein Selbstbewusstsein, um überhaupt Leben und Handeln zu können.
In der neueren neurologischen Forschung können wir bereits einzelne Komponenten unseres Selbstbewusstseins erkennen. Auf sie werden wir noch ausführlicher eingehen. Wir sind aber noch weitgehend davon entfernt, eine vollständige Erklärung abgeben zu können.
So bleibt auch das Selbstbewusstsein ein Symbol, das unsere Lebenswelt zwar strukturiert, aber nicht mir ihr gleichgesetzt werden darf.

Das Wir

Auch jede Form von Gemeinschaft kann nur ein Symbol sein. Das es überhaupt ein „Wir“ gibt ist ein Wunder. Ein Wir entsteht nur, wenn Individuen ein gemeinsames Symbol ihres gemeinsamen Lebens finden. Dieses Symbol strukturiert ihre Wirklichkeit und lässt sie zu einer gemeinsamen Wirklichkeit werden.